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Himbeersommer (German Edition)

Himbeersommer (German Edition)

Titel: Himbeersommer (German Edition)
Autoren: Anja Saskia Beyer
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wieso?“, frage ich spitz.
„Naja, das wissen Se doch selbst.“
„Nein, weiß ich nicht. Sagen Sie es mir.“
Sie sieht mich an und traut sich doch nicht mehr, die Wahrheit zu sagen.
„Jetzt sagen Sie schon.“ Meine Stimme wird rauer, ich bin jetzt richtig angespannt.
„Also, ich kann mir das halt nich vorstellen, wenn ich in Ihrem Alter wär … mit `nem soo viel jüngeren Kerl. Da fühlt man sich doch immer alt. Das muss man sich doch nich antun, das ist doch bescheuert.“
Ich sehe sie an und fühle mich alt und bescheuert.
Sie lächelt zerknirscht. „Ach, fast vergessen, er hat mir `nen Zettel für Sie gegeben.“ Sie geht schnell hinter den Tresen und bringt mir ein altes, etwas verknautschtes Kuvert. Postbank steht darauf gedruckt. Und darunter hat Daniel gekritzelt: „Lisa ist bei ihrem Vater.“
Ich sehe das gebrauchte Postbank-Kuvert an und weiß plötzlich, dass man im Leben zwar manchmal die falschen Entscheidungen trifft, dass es das Schicksal aber meistens gut mit einem meint und man sein Leben immer noch ändern kann. Man braucht nur ein kleines bisschen Mut dazu. Ich rufe Jacky an, und meine Stimme klingt zittrig. „Jacky, Daniel hat mir einfach einen Zettel hinterlassen. Lisa sei bei ihrem Vater!“
„Hä? Was will der?“
„Mann, kapierst du’s nicht?! Egal. Ich brauch dein Auto, Jacky, mit den Öffentlichen dauert das so ewig da raus. Bitte, kannst du mir es leihen?“
„Ich versteh zwar nur Bahnhof, aber na klar. Ich bin eh grad um die Ecke und fertig beim Zahnarzt, ich komm vorbei und du setzt mich an `ner U-Bahn ab.“
„Danke, du bist die Allerbeste. Ich bin so froh, dass es dich gibt.“
„Ja, ja, jetzt heul nich.“ Jacky legt auf, und ich starre den dahingekritzelten Zettel von Daniel an.
Kurz darauf ist sie da, wie sie immer da ist, wenn man sie braucht. Und wir nehmen uns ganz fest in den Arm und heulen zusammen, wie es nur beste Freundinnen tun können.
     
Nachdem ich sie an der U-Bahn abgesetzt habe, fahre ich alleine über die Stadtautobahn, und im Radio läuft „Tears dry on their own“, von Amy Winehouse, und ich denke an Amy und ihr kurzes, unglückliches Leben. Und beschließe, aus meinem Leben so viel Glück wie nur irgend möglich herauszuholen und sehne mich so sehr nach Lisa.
     
Kurz bevor ich in Jackys altem schwarzen Fiesta über die etwas holprige Straße in die Himbeersiedlung einbiege, kommt mir Daniel in seinem blauen Lieferwagen entgegengebraust. Er hält direkt neben mir, unsere traurigen Blicke treffen sich. Der Kindersitz neben ihm ist leer. Ich lasse schnell das Fenster herunter, um irgendetwas zu sagen, doch Daniel lässt seine Scheibe oben, sieht unwohl weg und gibt Gas. Erschüttert sehe ich der Staubwolke seines Wagens im Rückspiegel nach, atme tief durch und fahre weiter.
     
Unser Häuschen sieht noch idyllischer aus als das auf dem Postbank-Plakat. Eine Clematis wächst neben dem Hauseingang, Schopf-Lavendel im Topf am Boden. Tobias scheint den Garten tatsächlich gepflegt und gegossen zu haben, die Knospen der Clematis sind kurz davor, rot aufzublühen.
Ich starre auf die Klingel, auf der noch unsere beiden Namen stehen, gebe mir einen Ruck und drücke darauf.
Das Schrillen ist im ganzen Haus zu hören. Es ist ein lauter, alles durchdringender Ton. Die wolltest du eigentlich ersetzen, schießt es mir durch den Kopf. Ich wollte so viel … und habe fast alles bekommen.
Ich klingle noch mal und diesmal entschlossener, länger. Unser Audi, der extra für unser Baby gekauft wurde, steht da und lächelt mich an. Tobias muss da sein - und Lisa auch. Wieso macht er nicht auf? Hat er es sich anders überlegt, nachdem ich ihm als irre Furie im Büro den Lilienstrauß ins Gesicht gedrückt habe?!
Ich spüre meinen Schlüsselbund in der Hosentasche, ziehe ihn heraus und zögere einen Moment. Vielleicht hat Tobias inzwischen das Schloss ausgetauscht? Nein, Nora, wieso hätte er das tun sollen? Weil ich ihn für einen Jüngeren verlassen habe?! Ich schäme mich so, ziehe unseren alten Hausschlüssel heraus und öffne die Tür.
„Tobias?!“, rufe ich laut, „bist du da? Ist Lisa bei dir?“
So langsam bekomme ich es mit der Angst zu tun. Wo ist denn nur mein Mäuschen?
Ich haste rasch in ihr altes Kinderzimmer und bleibe überwältigt im Türrahmen stehen. Tobias hat die Wände rosa gestrichen und liebevoll mit selbst gemalten, mintgrünen Ornamenten und bunten Schmetterlingen verziert. Das ganze sieht aus wie ein wahr gewordener Kleinmädchentraum.
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