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Heyne - Das Science Fiction Jahr 2012

Heyne - Das Science Fiction Jahr 2012

Titel: Heyne - Das Science Fiction Jahr 2012
Autoren: Sascha u. a. Mamczak
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geliebter Mensch oder ein potenzieller Freund aus, oder auch wie ein leckeres Abendessen oder ein erbitterter Feind. Wenn ein kleines Kind sich vorstellt, was sich unter dem Bett befinden könnte, stellt es sich gleichzeitig vor, was es selbst für die unsichtbare Kreatur darstellen mag: für gewöhnlich Beute. Möglicherweise ist es keine gute Idee, kleinen Kindern zu sagen, dass man sie zum Fressen gern hat. Karly das Kätzchen mag eine solche Liebesbezeugung nicht beunruhigen, da ihr die Fähigkeit zur Empathie
fehlt; Karla das Kind dagegen bekommt vielleicht einen hysterischen Anfall.
    Eine der brillantesten Innovationen des Romans »Krieg der Welten« von H. G. Wells sind seine plastischen Schilderungen, wie wir schwächlichen Menschen auf einen gottgleichen Intellekt wirken mögen, der uns weit überlegen ist. Seither sind uns zahlreiche ähnliche Geschichten erzählt worden. Oder wie Shakespeare es ausgedrückt hat, wobei er sich jedoch auf Götter bezog, die uns etwas näher stehen als Marsianer: »Was Fliegen sind den müß’gen Knaben, das sind wir den Göttern; sie töten uns zum Spaß.«
    Andere Welten mit fremdartigen Bewohnern sind in der Mythologie und Literatur der Menschheit zahlreich vertreten. Ich vermute sogar, dass es, all die von Kindern ausgedachten und nie veröffentlichten Phantasielandschaften eingeschlossen, mehr erfundene Schauplätze gibt als reale. Ob das nun – gute wie schlechte – Orte sind, die wir nach unserem Tod aufsuchen, oder das Zuhause von Göttern oder anderen übernatürlichen Geschöpfen, verlorene Zivilisationen oder weit, weit entfernte Planeten, eines haben sie alle gemeinsam: Sie existieren nicht im Hier und Jetzt, sondern in fernster Vergangenheit oder in abgelegenen Regionen, vielleicht sogar nur vage definiert in »der Zukunft« oder in einer »anderen Dimension« unserer Raumzeit. Die übliche Vorstellung scheint zu sein, dass fremdartige Lebewesen von sonst wo urplötzlich in unserem Wohnzimmer auftauchen können, allerdings ohne die ganze fremdartige Welt, von der sie stammen, mitschleppen zu können. Wir hingegen können durch einen Schrank schlüpfen oder durch ein Wurmloch im Weltraum und dadurch in ihrem Reich landen. Geschichten über Begegnungen mit fremdartigen Lebewesen handeln auf die eine oder andere Art stets auch von Reisen. Etwas oder jemand bewegt sich von »hier« nach
»dort«, oder wir selbst bewegen uns von »hier« nach »dort«. Es wimmelt nur so von Toren, Portalen, Durchgangsstationen und Fahr- und Flugzeugen – wie auch, wenn ich weiter darüber nachdenke, in den antiken Mythen mit ihren Höhleneingängen und Feuerwägen.
    Diese Fähigkeit, uns frei erfundene Schauplätze vorzustellen – ein Irgendwo, das nicht sofort fassbar ist, im Gegensatz zu den Schweinekoteletts, die es zum Abendessen gibt –, entwickeln wir bereits in frühester Kindheit. Anfangs ist es ein Fall von »aus den Augen, aus dem Sinn«: Gegenstände, die wir nicht mehr sehen können, verschwinden einfach und tauchen dann wieder auf. Wir brauchen eine Weile, um herauszufinden, dass die Gummi-Ente, die jemand hinter dem Vorhang versteckt hat, immer »irgendwo« ist und nicht etwa »nirgendwo«.
    Nachdem wir festgestellt haben, dass Gegenstände nicht einfach aufhören zu existieren, sondern schlicht »woanders« sind, fällt es uns schwer, diese Erkenntnis wieder abzuschütteln. »Hier« sein und dann plötzlich nicht mehr – haben die Vorstellungen vom Leben nach dem Tod, von der Teleportation und so weiter dort ihren Ursprung? Verdankt Scotty aus Star Trek seine Fähigkeit, Leute an einen anderen Ort zu beamen, der Entdeckung, dass die Gummi-Ente in unseren kindlichen Guck-guck-Spielen in Wirklichkeit noch da war? Versucht die tote Großmutter, die in der Geisterwelt herumschwebt, mit uns Kontakt aufzunehmen? Und werden wir es ihr gleichtun – schließlich ist es schwer, sich vorzustellen, dass es uns einmal nicht mehr geben wird? Die Toten gehen doch bestimmt irgendwohin und nicht nur ins Grab. Früher gingen sie ins Jenseits der Ägypter, wo ihre Seelen gewogen wurden, oder in den Asphodeliengrund oder himmelwärts, wo sie zu einem Sternbild wurden, oder sie zogen in den konkreten Himmel ein. Heutzutage kommen
auch der Planet Krypton infrage oder wohin auch immer E.T. verschwunden ist. Und sind der Asphodeliengrund und der Planet Krypton nicht ein und dasselbe?
    Eine Methode, uns diesen »anderen Welten« zu nähern, besteht darin, ihrem literarischen
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