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Hexenjagd in Lerchenbach

Hexenjagd in Lerchenbach

Titel: Hexenjagd in Lerchenbach
Autoren: Stefan Wolf
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abenteuerliche Typen. Sie rauchten, beobachteten Helga, als
sie vorbei ging, und der eine sagte: „So ein entzückendes Hexchen! Dürfen wir
Sie zu einem Drink einladen?“
    Helga war zusammengezuckt. Nicht wegen
der Dreistigkeit, sondern wegen des Wortes „Hexchen“. Und sie wußte, warum.
    Sie ging weiter, ohne zu reagieren, und
stellte mit einem Blick auf die Uhr fest, daß es nun doch schon recht spät sei;
außerdem grummelte über der Hochebene vor der Stadt ein fernes Gewitter.
    Sie beschleunigte den Schritt. Aber es
war noch weit bis zum Rathaus.
    Sie verließ die Hauptstraße, folgte
einer einsamen Nebenstraße, durchquerte einen kleinen Park und dann ein
Viertel, das schon zur Altstadt gehörte. Hier waren die Häuser giebelig und die
Straßen eng. Es gab Hinterhöfe, Tore aus dem vorigen Jahrhundert und versteckte
Geschäfte, die sich gleichwohl großer Beliebtheit erfreuten: Juweliere, einige
Bildergalerien, kunsthandwerkliche Ateliers und Fundgruben für Antiquitäten (alte
Kunst- und Gebrauchsgegenstände).
    Jetzt erreichte sie den Anfang der
Kirchgasse. Schlaucheng war die — und dunkel, eigentlich nur ein Durchlaß
zwischen den Rückseiten hoher Häuser. Nur Fußgänger und Radfahrer hatten hier
Platz. Auf dem Kopfsteinpflaster hallten die Schritte.
    Ein Stück Mittelalter mitten in einer
modernen Großstadt, dachte Helga. Ihr war unheimlich zumute. Das Gespenst aus
dem albernen Gruselfilm fiel ihr ein. Unwillkürlich blickte sie hinter sich.
    Die einzige Laterne spielte verrückt.
Sie flackerte auf und erlosch, und das von Sekunde zu Sekunde.
    Helga ging schneller. Sie kam an einem
Torbogen vorbei, hinter dem ein Innenhof lag: dunkel wie ein Tunnel.
    Klirrend zerbrach in diesem Moment
Glas. Jemand zischte einen Fluch, unterdrückt, aber dennoch vernehmbar. Dann
war Stille.
    Helga blieb stehen. Das Geräusch war
aus dem Hof gekommen. Einbrecher? Sie spürte, wie ihr Herz rascher schlug. Was
tun? Niemand war in der Nähe, die nächste Telefonzelle weit. Einfach
weitergehen, als hätte sie nichts bemerkt? Das wäre verantwortungslos gewesen.
    Muß doch mal sehen, was da los ist,
dachte sie, ehe ich die Pferde scheu mache. Vielleicht bringt nur jemand den
Müll zur Abfalltonne. Aber... warum ohne Licht?
    Sie stand im Dunkeln, das Flaschengrün
ihrer Kleidung verschmolz damit. Beherzt trat sie näher — auf Zehenspitzen.
    Als sie unter dem Torbogen war, sah sie
nicht mehr die Hand vor Augen. Sie streckte den Arm aus, ertastete eine Mauer
und setzte Schritt vor Schritt. Plötzlich wich die Mauer zurück. Sie spürte,
daß sie auf dem Hof stand. Über ihr war der Himmel. Angestrengt lauschte sie.
    Stille. Aber dann hörte sie ein
knackendes Geräusch an der Rückwand des drei- oder vierstöckigen Hauses. Das
Geräusch war nur wenige Schritte entfernt.
    Also doch!
    Gegen einen oder mehrere Einbrecher
etwas ausrichten zu können, bildete sie sich nicht ein. Jetzt, da sie beinahe
Gewißheit hatte, konnte sie „die Pferde scheu machen“ — vielmehr: möglichst
rasch ein Telefon suchen und die Funkstreife verständigen.
    Vorsichtig zog sie sich zurück, Schritt
für Schritt, während drüben in der suppendicken Finsternis der Rückfront der
Einbrecher werkelte.
    Der Hof hatte Kopfsteinpflaster.
    Helga trug Sommersandalen mit halbhohem
Absatz.
    Als sich der linke in einem Spalt
verklemmte, strauchelte sie.
    Den Schreckensruf, als sie zur Seite
kippte, konnte sie gerade noch unterdrücken. Aber sie verlor das Gleichgewicht.
    Haltsuchend streckte sie die linke Hand
aus, um sich an die Mauer des Torbogens zu stützen. Das gelang. Aber ihre
Handfläche stieß mit voller Kraft auf den Lichtschalter, der hier angebracht
war: einen Druckschalter, der sich unter einer Plastikkappe befand.
    Augenblicklich flammten zwei große
Lampen auf: an der Innenseite des Torbogens und an der Rückwand des Hauses.
    Helgas Herz setzte aus.
    Der Hof, jetzt von Licht übergossen,
war leer — bis auf einige Abfalltonnen und zwei übereinander gestapelte
Bierkästen. Und bis auf den Einbrecher.
    Er stand, eine Tasche mit Werkzeug
umgehängt, vor einem Rückfenster. Es war vergittert gewesen. Aber er hatte das
Gitter durchsägt, aus seiner Verankerung gelöst und an die Hauswand gelehnt.
Beim Knacken der Fensterscheibe war er offenbar mit dem Glasschneider
abgerutscht. Deshalb das Klirren und sein Fluch.
    Jetzt fuhr er herum.
    Nur wenige Schritte trennten die
beiden.
    Entsetzen schnürte Helga die Kehle zu.
    Sie starrten sich
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