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Hexenjagd in Lerchenbach

Hexenjagd in Lerchenbach

Titel: Hexenjagd in Lerchenbach
Autoren: Stefan Wolf
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war sie geradezu eine Schönheit. Sie
hatte grüne Augen von etwas schrägem Schnitt und zarte, helle Haut. Sie konnte
die kleinste Konfektionsgröße tragen und war nur wenig größer als Gaby.
    „Seid ihr zu Fuß hier?“ erkundigte sich
die Lehrerin.
    „Wir haben unsere Tretmühlen immer
dabei“, sagte Tarzan. „Busfahren ist teuer und zeitraubend. Und man kommt doch
nicht bis ans Ziel.“
    Helga sagte, sie hätte ihr kleines Auto
am Rathausplatz geparkt. Das war ziemlich weit entfernt.
    Sie verließen das Kino. Gewitterwolken
schoben sich am Himmel zusammen. Dadurch verfrühte sich die Dämmerung. Aber es
war immer noch hell genug, um im nahen Gartenlokal zu sitzen.
    Sie fanden einen Platz unter einer
mächtigen Kastanie. Kies knirschte, als sie sich die Stühle zurechtrückten, und
Helga bestellte Cola für alle. Sie wollte auch zum Eisbecher einladen, aber
Tarzan und Gaby gaben sich bescheiden.
    „Haben Sie schon mal mit Jocher Ärger gehabt?“
erkundigte sich Tarzan.
    Überrascht sah sie ihn an. „Wie kommst
du darauf?“
    „Sie sagten vorhin, von dieser Seite könnten nur Gemeinheiten kommen. Und Jocher wohnt doch, soviel ich weiß,
in Lerchenbach. Wie Sie.“
    Helga nickte. „Kennt ihr Lerchenbach?“
    „Nur mal durchgefahren“, antwortete
Gaby.
    Es war ein Dorf, knapp 30 Kilometer von
der Großstadt entfernt lag es in einem flachen Tal, abseits der
Hauptverkehrsstraßen und Reiserouten südwärts. Ein Bauerndorf, wie Tarzan
wußte, und ein bißchen verrufen, weil es dort sehr hinterwäldlerisch zugehe.
Die Bewohner — keine tausend Seelen — galten als stur und eigenbrötlerisch, als
kontaktscheu und allem Neuen abgeneigt. Wer als Fremder dort hinkäme, stieße
nur auf Mißtrauen — hieß es. Unter der Dorfjugend taten sich einige bei
Kirchweihfesten andernorts als rohe Schläger hervor. Das war polizeibekannt — und
auch darüber hinaus.
    Über Max Jocher wußte Tarzan, daß
dessen Vater ein reicher Bauer in Lerchenbach war. Helga Götze, die — mochte
der Himmel wissen, weshalb — ebenfalls im Dorf wohnte, kam jeden Morgen mit
ihrer Chaussee-Wanze, sprich Kleinauto, zur Internatsschule.
    „Ich bin dort geboren“, sagte Helga. „Insofern
ist Lerchenbach meine Heimat. Aber ich fühle mich so fremd, als wäre ich vorige
Woche — aus China kommend — dort eingewandert. Es liegt daran: Meine Eltern — beide
leben nicht mehr — waren Flüchtlinge. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden sie
dorthin verschlagen. Und sie blieben. Mein Vater übte seinen Beruf in der Stadt
aus. Meine Mutter wollte im Grünen wohnen. Durch einen glücklichen Umstand
erwarben sie ein Haus mit sehr großem Grundstück. Sogar ein Teich liegt darauf.
Sie wurden also Lerchenbacher und im Ort mehr schlecht als recht gelitten.
Anerkannt oder gar mit offenen Armen aufgenommen, das wurden sie nie. Ich kam
vor 25 Jahren zur Welt. Als kleines Kind habe ich mit der Dorfjugend auf den
Misthaufen gespielt. Ich besuchte die Zwergschule, aber als ich dann zehn war
und auf die Penne sollte, mußte ich aus Lerchenbach weg. Unsere vielgeliebte
Internatsschule“, sie lächelte, „nahm damals noch keine Mädchen auf. Leider
starb zu der Zeit meine Mutter. Mein Vater tat das einzig richtige, indem er
mich zu meiner Oma gab, ziemlich weit weg von hier. Dort konnte ich das
Gymnasium besuchen. Dort machte ich Abitur. Dann kam das Studium an der Uni;
und ich sah Lerchenbach nur während der Ferien, wenn ich meinen Vater besuchte.
Er hat sehr gelitten unter der ablehnenden Haltung der Dorfbewohner, denn er
war gesellig und aufgeschlossen. Als er vor zwei Jahren starb, erbte ich das
Haus und das herrliche Grundstück. So kam ich wieder nach Lerchenbach — und ich
lasse mich, verdammt noch mal, nicht durch Gemeinheiten vertreiben.“
    Während der letzten Worte hatten sich
ihre Wangen temperamentvoll gerötet. Ihre schlanken Hände ballten sich zu
Fäusten.
    „Vertreiben?“ fragte Gaby.
    Helga nickte. „Es sieht so aus, als
wollte man mich aus dem Dorf rausekeln.“
    „Das gibt’s doch nicht“, sagte Tarzan. „Eine
sympathische... äh... Wieso eigentlich? Steckt dahinter ein Grund?“
    Helga trank einen Schluck von ihrer
Cola. „Es gibt einen Grund. Ich kann nicht beweisen, was ich vermute. Aber ich
glaube, daß Jocher das Dorf gegen mich aufhetzt.“
    „Max Jocher?“ fragte Gaby erstaunt.
    „Nein, dessen Vater. Er ist dort der
reichste Mann. Ein Großbauer. Außerdem der Bürgermeister.“ Helga betastete
ihren Hinterkopf.
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