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Hexengewitter

Hexengewitter

Titel: Hexengewitter
Autoren: Horst Hoffmann
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ihm das Leben schwerzumachen, ihn…?«
    »Gerrek ist nicht dein Sohn!«
    Der Drache neigte den Kopf und preßte die Pranke noch etwas stärker zusammen, daß die Kriegerin sich wand und nach Luft schnappte.
    »Alle Beuteldrachen dieser Welt sind meine Kinder!« donnerte des Drachen Stimme über Land und Meer. »Auch wenn ich zugeben muß, daß es mich betrübt, sie so winzig zu sehen.«
    »Aber es gibt nur einen Mandaler!« jammerte das Weib. »Nur einen einzigen, verstehst du?«
    »Und der ist dir schon zuviel, oh, ich weiß! Gerade das macht ihn noch kostbarer. Aber ich bin bereit, dein jämmerliches Leben zu schonen, wenn du gelobst, ihm von heute an eine demütige Dienerin zu sein.«
    »Ich gelobe es!« rief Kalisse unter Tränen. »Ich will alles tun, was du sagst! Ich kraule ihm auch seinen Ziegenbart, wenn’s sein muß! Aber gib mich frei!«
    Da lachte der Drache, und behutsam setzte er die Amazone auf der allerhöchsten Klippe ab.
    »Nun sieh zu, wie du von dort herunterkommst, Weib!« rollte seine Stimme weit über das Meer. Noch einmal blies er sein Feuer in den Himmel, um sich sodann umzuwenden und mit mächtigen Schritten zurück in die Fluten zu steigen.
    Kalisse aber saß verzweifelt auf der Klippe. Keiner der Gefährten befand sich in Rufweite, und selbst sie hätten der Amazone nicht von der Klippe herabhelfen können. »O Gerrek!« klagte Kalisse bitter. »Jetzt erst sehe ich ein, welch Unrecht ich dir getan habe. Ich kann mit dieser Last nicht mehr leben. Ich stürze mich in die Tiefe und…«
    »Nein!«
    Gerrek schrak aus seinen Träumen auf, machte einen gewaltigen Satz in die Höhe und wirbelte zwei-, dreimal um die eigene Achse.
    »Kalisse! Wo steckst du? So antworte doch, Kalisse!«
    Er sah sie nicht, sah keinen der Freunde. Er hatte sich hierher, irgendwo zwischen den Klippen an der Ostküste Rakiavs, zurückgezogen, um Mythors Verzweiflung nicht mehr mit ansehen und sich die Flüche der Amazonen und Inselweiber nicht länger anhören zu müssen. Langsam dämmerte der neue Tag herauf, doch das noch herrschende Halbdunkel bereitete dem Mandaler keine Schwierigkeiten. Er konnte auch in der Nacht sehen.
    Schlimmer war, daß er nicht wußte, ob er wirklich nur geträumt hatte. Sicher, irgendwann mußte ihn die Müdigkeit übermannt haben, und er war eingeschlafen.
    »Unsinn«, versuchte er sich zu beruhigen. »Es muß ein Traum gewesen sein, ein wunderschöner Traum, bis auf das Ende. Es gibt keine anderen Beuteldrachen, schon gar keine so großen… und…«
    Wirklich nicht?
    Was hatte Mythor noch gesagt? Dhogur, der der Südwind fast zum Verhängnis geworden wäre, sei einer der letzten, vielleicht der allerletzte jener mächtigen Drachen, die einst diese Meere beherrschten. War es denn da so ausgeschlossen, daß es neben Dhogur noch andere gab - Drachen mit Knitterohren, einem Ziegenbart, purpurroter, scheckiger Haut und einem Bauchbeutel?
    Nicht, daß er Kalisse die Zurechtweisung nicht gegönnt hätte. Doch daß sie sich um seinetwillen das Leben nehmen wollte…
    »Es sind die gleichen Klippen«, murmelte er. »Wahrhaftig die gleichen wie in meinem… Traum. Dort oben müßte Kalisse jetzt hocken. Aber sie ist nicht da.«
    Weil sie schon gesprungen war?
    Gerrek verstand so vieles nicht mehr, was ihm und den Freunden in der letzten Zeit widerfahren war. Nichts schien mehr mit rechten Dingen zuzugehen. Und sosehr er nun auch versuchte, sich einen Traum einzureden, so wenig vermochte ihn dies zu trösten. Wenn Kalisse wahrhaftig den Tod gefunden hatte, würde er den anderen niemals mehr unter die Augen treten dürfen.
    »Kalisse!« rief er wieder.
    Nur die heranrollenden Wellen antworteten ihm. Gerrek überlegte, ob er Mythor oder Scida zu Hilfe holen oder zuerst einmal nachsehen sollte, ob Kalisse nicht doch bei ihnen war. Dann schüttelte er sich. Er mußte sich Gewißheit verschaffen, hier und jetzt.
    So machte er sich daran, eine weniger hohe und steile Klippe zu erklimmen, die weit ins Meer hinausragte.
    Es dauerte ihm viel zu lange, bis er endlich oben auf der Klippe stand. Die Gischt schäumte fast bis zu ihm hoch. Dort unten in den tobenden Fluten war nichts zu erkennen. Aber hatte er das denn erwarten dürfen?
    Verzweifelt drehte der Mandaler sich um - und zuckte heftig zusammen.
    Er sah nicht Kalisse, doch statt dessen ein Dutzend Amazonen, die sich hinter einem Felsenhügel an den Lagerplatz der Freunde anschlichen, der von der Klippe aus nicht zu sehen war. An der Absicht der
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