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Hexe Lilli bei den Piraten

Hexe Lilli bei den Piraten

Titel: Hexe Lilli bei den Piraten
Autoren: Birgit Knister
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weiter.
    Weiter voraus fällt mehr Licht durch die Ritzen und Spalten der Decksplanken.
    Lilli kann erkennen, dass in der Nähe einer schmalen, steilen Treppe ein Junge kauert. Er dürfte ungefähr so alt sein wie sie.
    Sein schulterlanges Haar ist zu einem Pferdeschwanz zusammengeknotet. Das weiße, halb zerrissene Hemd, an dem ein Ärmel fehlt, hat er in eine knielange Hose gestopft. Sicher ein Piratenjunge, denkt Lilli. „Hallo“, sagt sie und schlüpft hinter einer Kiste hervor.
    Der Junge fährt vor Schreck zusammen und verkriecht sich unter der Treppe. „Möwenschiss und Tropenfieber. Es spukt!“, schimpft er.
    Erst jetzt sieht Lilli, dass der Junge verletzt ist und sieh den abgerissenen Hemdsärmel notdürftig als Verband ums Bein gewickelt hat. „Du brauchst doch keine Angst vor mir zu haben“, versucht Lilli ihn zu beruhigen. Aber das scheint den Jungen nicht zu überzeugen.

    „Du bist eine Meerjungfrau, stimmt's?“
    „Nein“, lacht Lilli. „Wer bist du dann?“
    „Ich heiße Lilli, und du?“
    „Bist du... Ich meine, bist du echt?“
    Wieder muss Lilli lachen. „Ich bin ganz normal. Ein Mädchen wie du... äh, ich meine... ,,
    „Wie bist du an Bord gekommen?“
    Lilli sucht nach einer passenden Antwort. Sie kann ja schlecht erzählen, dass sie sich an Bord gehext hat.
    „Kapitän Bartbacke sagt, dass Frauen an Bord Unglück bringen.“
    „So, sagt er das?“ Lilli überlegt immer noch, wie sie ihre Anwesenheit einleuchtend erklären kann. Die Tatsache, dass der Kapitän keine Frauen an Bord duldet, macht ihre ohnehin schwierige Lage nicht gerade leichter. „Dann gibt es hier wohl außer mir keine Frauen?“
    „Frauen?“ Da fängt der Junge plötzlich an zu lachen. „Das ist wirklich das Unmöglichste, was man auf Kapitän Bartbackes Schiff finden wird. Noch keine Frau hat jemals lebend seine Piratenplanken betreten. So sagt er jedenfalls.“
    „Da bin ich ja wohl der lebendige Gegenbeweis“, meint Lilli schnippisch.
    „Rätselfisch und Knotenknäuel. Das verstehe, wer will. Im ersten Augenblick habe ich an Hexerei geglaubt. Aber du siehst eigentlich nicht wie eine Hexe aus. Und für irgendeinen Höllenspuk bist du zu freundlich. Also noch einmal: Wer bist du? Was machst du hier? Und wie kommst du an Bord?“
    „Jede Menge Fragen“, sagt Lilli, um Zeit zu gewinnen. „Ich will mit der letzten anfangen. Ich habe mich im letzten Hafen an Bord geschlichen und hier unten versteckt.“
    „Und was hast du gegessen? Immerhin haben wir seit mehr als sechs Monden kein Land gesehen!“
    Lilli legt ihre Hände links und rechts an den Mund, formt sie zu Pfoten und piepst.
    „Ratten?“, fragt der Junge ungläubig. Er verzieht sein Gesicht zu einer Grimasse und schluckt. Ihm bleibt wohl vor Ekel die Spucke weg.
    Lilli nickt und reibt sich über den Bauch. Sie setzt noch eine Lüge drauf. „Wenn man erst einmal die ersten zehn hinunter hat, schmecken sie gar nicht so schlecht. Natürlich darf man die Köpfe nicht mitessen. Und Rattenschwänze sind einfach zu bitter.“
    Wieder verzieht ihr Gegenüber das Gesicht und staunt:

    „Pickerton, unser Segelmacher, hat auch schon einmal behauptet, dass er sich ein paar Wochen von Ratten ernährt hat, als er im Kerker saß. Ich hab es immer für Seemannsgarn gehalten.“
    „Nein, nein. Es stimmt“, sagt Lilli stolz. „Ich habe es in mehreren Piratenbüchern gelesen.“
    „Du kannst lesen?“, fragt der Junge und staunt immer mehr.
    „Aber das lernt man doch in der Schule!“
    „Was ist eine Schule?“ Lilli fasst sich an den Kopf. Aber dann fällt es ihr ein. Sie ist ja fast vierhundert Jahre zurückgeflogen.
    Zu der Zeit gab es noch keine Schulen. Die Lehrer kamen nur zu den Kindern ganz reicher Eltern ins Haus. Kein Wunder, dass der Bursche hier keine Schule kennt. Also versucht Lilli zu erklären: „Eine Schule nennt man bei uns das Zimmer, in dem man lesen lernt.“ Aber der Piratenjunge scheint gar nicht richtig zuzuhören. Auf einmal sieht er traurig aus und sagt: „Meine Mutter konnte auch lesen, früher.“

    „Lesen verlernt man nicht“, ruft Lilli. Aber im selben Moment tut es ihr Leid und sie erkundigt sich: „Ist sie blind geworden oder gestorben?“
    „Nein. Sie hat es gelernt. Früher, als sie noch nicht Piratin war.“
    „Deine Mutter ist Piratin?“, fährt Lilli hoch. „Los, erzähl!“
    „Das ist eine verrückte Geschichte. Ich kenne sie selbst noch nicht lange. Immer wieder habe ich Pickerton in den Ohren gelegen mir
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