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Heute Und in Ewigkeit

Titel: Heute Und in Ewigkeit
Autoren: Randy Susan Meyers
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Schneidersitz auf ihrem Bett saß, bewegte ihre Anziehpuppen in verschiedene Positionen. Sie lehnte sie an die Wand, knickte die Falzstreifen erst an einem Papierkostüm, dann am nächsten um und bewegte die Lippen zu den lautlosen Theaterstücken, die ihre Figuren ganz allein für sie spielten.
    Merry sollte eigentlich ein Nickerchen machen, und ich sollte eigentlich dafür sorgen, dass sie das auch tat. Meine Schwester sah ganz stolz und glücklich aus in ihrem apfelgrünen Badeanzug, den man oben mit kleinen gelben Schnüren zubinden konnte. Ich hasste das Ding, weil ich ihr helfen und es ganz herunterziehen und hinterher wieder zubinden musste, jedes Mal, wenn sie auf die Toilette ging. Merry liebte den Badeanzug, weil er von Daddy war. In Wahrheit hatte ihn Oma Zelda ausgesucht, nicht Daddy, aber ich verriet nichts. Ich wollte Merry den Spaß nicht verderben.
    Meine Schwester war ungewöhnlich niedlich, und ich war ungewöhnlich unscheinbar. Jeden Tag hielten uns Leute auf der Straße an und beugten sich herab, um sich über Merrys schwarze Locken oder ihre braunen Schokotaler-Augen zu ergehen oder um ihre rosige Wange zu streicheln, als sei ihre Haut ein Stoff, den zu befühlen sie einfach nicht widerstehen konnten. Ich kam mir immer vor, als schleppte ich die Prinzessin von Brooklyn mit mir herum.
    Daddy war total vernarrt in Merry. Tante Cilla hatte das einmal gesagt, während wir zugesehen hatten, wie Daddy Merry ein m&m nach dem anderen einzeln in den Mund gesteckt hatte. »Macht dich das nicht eifersüchtig?«, hatte sie meine Mutter gefragt. Tante Cilla, Mamas Schwester, sah aus wie eine aufgeblasene Kugelfisch-Ausgabe meiner Mutter.
    »Oh, aber sicher doch. Die Fünfjährigen liegen ihm zu Füßen«, hatte Mama Tante Cilla geantwortet, aber eigentlich war der Satz für Daddys Ohren bestimmt gewesen.
    Merry machte Daddy glücklich. Ich schaffte das nie. Wenn er zum Beispiel einen Witz machte, überlegte ich mit zusammengekniffenen Augen, ob das Rätsel oder das Wortspiel lustig genug war, um darüber zu lachen. Dann wurde er böse und sagte: »Himmel, Lulu, musst du denn alles analysieren, was man zu dir sagt?«
    Ich rutschte wieder auf dem Bett herum und lehnte mich ans Fensterbrett, die Ellbogen halb hinausgestreckt, um ein bisschen Luft zu bekommen. Die Musik aus Mrs. Schwartz' Stereoanlage hallte laut über den Hof. Vermutlich hatte jemand gerufen, sie solle sie ausmachen, woraufhin Mrs. Schwartz sie normalerweise erst recht aufdrehte. »Raindrops Keep Falling on My Head« war so laut, dass ich das erste leise Klopfen an der Wohnungstür gar nicht hörte.
    »Da klopft jemand«, verkündete Merry und hüpfte vom Bett.
    »Halt.« Ich schwang die Beine über die Bettkante. »Bist du verrückt? Mama würde uns umbringen. Lass mich gehen. Du sollst doch eigentlich schlafen.«
    Merry hüpfte wieder auf ihr Bett und landete mit den Füßen unter dem Po. Sie war recht mager und klein für ihr Alter. In ihrem grünen Badeanzug sah sie aus wie ein springender Grashüpfer.
    Ich schlich auf Zehenspitzen zur Tür. Mama nutzte unsere Mittagsruhe dazu, selbst ein Nickerchen zu machen – ihren Schönheitsschlaf nannte sie das –, und sie hasste es, zu früh geweckt zu werden. Ich hielt mir den Zeigefinger vor die Lippen, um Merry zu signalisieren, dass sie still sein solle. Sie riss die Augen auf, und ihre Schokotaler fragten: Glaubst du vielleicht, ich wäre dumm?
    Unser Zimmer und die Wohnungstür lagen direkt nebeneinander. Ich öffnete zentimeterweise unsere Zimmertür und versuchte, ganz leise zu sein. Das Klopfen wurde lauter.
    »Wer ist da?«, raunte ich, wobei ich den Mund fast an den Rand der Tür presste.
    »Mach auf, Lulu.«
    Ich hörte meinen Vater atmen.
    »Komm schon, Lulu. Mach die Tür auf.«
    »Ich soll dich aber nicht reinlassen«, flüsterte ich und betete, dass Mama mich nicht hörte.
    »Keine Angst, Schokokrispie. Mama wird nicht böse. Versprochen.«
    Ich hatte auf einmal Tränen in den Augen, als ich meinen Kosenamen hörte. Früher war ich Schokokrispie gewesen, und Merry Honeypop. Mama nannte er Honigsmack, weil das die allersüßeste Sorte ist, sagte er immer. Dann schmatzte er mit den Lippen, und meine Mutter warf nach ihm, was sie gerade in der Hand hielt.
    Aber sie hatte dabei immer gelächelt.
    »Ich weiß, dass du Angst vor Mama hast, aber du musst mich reinlassen. Ich bin dein Vater.« Daddy senkte die Stimme und sagte verschwörerisch: »Mein Name steht auf dem Mietvertrag.«
    Ich
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