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Hesse-ABC

Hesse-ABC

Titel: Hesse-ABC
Autoren: Gunnar Decker
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unendlichen Stille zu lauschen, die ihn jetzt
    umgab.«
    Es ist von einer nicht zu unterschätzenden Symbolik, daß sich Jo-
    hannes Hesse für seinen Grabstein das Bibelzitat wählt: »Der
    Strick ist zerrissen. Der Vogel ist frei.« Man vergleiche Hesses Vo-
    gelmetaphorik im bald darauf entstehenden »Demian«: »Das Ei ist
    die Welt. Wer geboren werden will, muß eine Welt zerstören. Der
    Vogel fliegt zu Gott. Der Gott heißt Abraxas.« Mit Vorliebe nannte
    sich Hesse (nicht nur in seinen Märchen) Vogel, was das verbor-
    gen-starke Band zu dem zugleich so nahen und so fernen Vater
    deutlich macht.

    Akademie
    Immer auf der Flucht vor Institutionen, Funktionen, Verbänden,
    Preisen oder anderen unfrei machenden Äußerlichkeiten, die er
    als quälende Zumutungen empfindet, fühlt sich Hesse auch in der
    Berliner Akademie höchst fehl am Platze. 1926 war er auf Drängen
    seines Lektors Oskar Loerke ein-, aber schon 1931 wieder ausge-
    treten. Daran kann ihn auch sein Freund Thomas Mann nicht hin-
    dern. Hesse besitzt nun einmal gegen jede Art von Salon- oder
    Akademie-Literatur-Gehabe eine unüberwindbare Abneigung. Und
    er ist voller Mißtrauen gegen die Akademiemitglieder: »Ich habe
    das Gefühl, beim nächsten Krieg wird diese Akademie viel zur
    Schar jener 90 oder 100 Prominenten beitragen, welche das Volk
    wieder wie 1914 im Staatsauftrag über alle lebenswichtigen Fra-
    gen belügen werden.«

    Akten
    Wie spiegeln Akten gelebtes Leben? Hesse ist skeptisch, was
    deutsche Aktengläubigkeit betrifft: »Wie verschob, veränderte und
    verzerrte sich alles und alles in diesen Spiegeln, wie spöttisch und
    wie unerreichbar verbarg sich das Gesicht der Wahrheit hinter all
    diesen Berichten, Gegenberichten, Legenden! Was war noch
    Wahrheit, was war noch glaublich?« (Die Morgenlandfahrt)

    Alemannisches Bekenntnis
    Schrieb Hesse 1919, gegen den deutschen Nationalismus, der
    durch den verlorenen Krieg nicht kleiner geworden war. Es ist eine
    Liebeserklärung an den Rheinwinkel, aus dem er stammt. Hesse
    hat die württembergisch-schweizerische Grenze immer als etwas
    die alemannische Heimat künstlich Trennendes empfunden: »Ich
    schreibe es zum Teil meinen Umständen und Herkünften zu, daß
    ich, bei immer zärtlicher Heimatliebe, nie ein großer Patriot und
    Nationalist sein konnte. Ich lernte mein Leben lang, und gar in der
    Kriegszeit, die Grenzen zwischen Deutschland und der Schweiz
    nicht als etwas Natürliches, Selbstverständliches und Heiliges
    kennen, sondern als etwas Willkürliches, wodurch ich brüderliche
    Gebote getrennt sah ... Wenn zwei Dörfer miteinander verwandt
    und ähnlich sind wie Zwillinge, und es kommt ein Krieg, und das
    eine Dorf schickt seine Männer und Knaben aus, verblutet und
    verarmt, das andere aber behält Frieden und gedeiht ruhig weiter,
    so scheint mir das keineswegs richtig und gut, sondern seltsam
    und haarsträubend. Und wenn ein Mensch seine Heimat verleug-
    nen und die Liebe zu ihr opfern muß, um einem politischen Vater-
    land besser zu dienen, so erscheint er mir wie ein Soldat, der auf
    seine Mutter schießt, weil er Gehorsam für heiliger hält als Liebe.«

    Als Ob
    Die Einheit des Guten, Wahren und Schönen, wie sie der klassi-
    sche deutsche Idealismus erträumte, hat sich – nicht erst nach
    zwei Weltkriegen - als eine Illusion erwiesen. Hesse ist das durch-
    aus klar, jedoch meint er, man müsse so leben, »als ob« es sie
    gäbe. Darin folgt er der »Philosophie des Als Ob« Hans Vaihin-
    gers, der die Fiktionalität der Werte innerhalb eines allgemeinen
    Werte-Relativismus herausgestellt hat. Es liegt jetzt ganz am Ein-
    zelnen, wieviel Wahrheit er den Ideen zumißt, wie verbindlich
    Werte für ihn sind.

    Alt
    Wirkt Hesse in seinen frühen Texten. Der Lebensrückblick des
    Mittzwanzigers etwa in »Peter Camenzind« ist der eines Greises. –
    Umgekehrt wirkt der alte Hesse sehr jugendlich. Man könnte sa-
    gen, Hesses ganzes Leben sei der Versuch, sich seine verlorene
    Kindheit schreibend wieder zu holen. Es ist ihm geglückt.

    Antisemitismus
    Es gibt eine sehr kurze Rezension von Hesse aus dem Jahre 1922
    über das Buch von Wilhelm Michel »Verrat am Deutschtum«. In
    den Augen der nationalistischen Autoren ist Hesse selbst so ein
    Verräter. Wenn Hesse sich also über dieses Machwerk überhaupt
    äußert, dann um vor einer neuen Qualität des Antisemitismus zu
    warnen, der von den Nationalsozialisten (Hitler hatte sich ein Jahr
    zuvor an deren Spitze
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