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Herzklopfen für Anfänger

Herzklopfen für Anfänger

Titel: Herzklopfen für Anfänger
Autoren: Lynne Barrett-Lee
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Ein entgegenkommendes Auto. Ich schaltete auf Abblendlicht und erwartete, dass auch das andere Auto das Fernlicht ausschaltete. Aber das tat es nicht, im Gegenteil, die Scheinwerfer wurden heller. Weißer. Die feuchten Haare in meinem Nacken begannen zu prickeln. Was machte der Fahrer da? Ich konnte die Straße nicht mehr erkennen – die Scheinwerfer, die rasch näher kamen, blendeten alles aus und machten mich so gut wie blind.
    Und in diesem Augenblick traf es mich mit erschreckender Klarheit. Ich würde sterben. In einem karierten Pyjama und einer schmutzigen schwarzen Strickjacke. Denn das Auto hinter den viel zu hellen Scheinwerfern befand sich auf meiner Straßenseite.
    Ich kann mich nicht mehr erinnern, was ich tat. Instinktiv riss ich das Steuer herum. Es quietschte, der Wagen schleuderte, aber dann griff das ABS, und ich kam zum Stehen, mitten im üppigen Strauchwerk des Grabens neben der Straße. Die Scheinwerfer verschwanden, weil sich der Wagen einmal um sich selbst gedreht hatte, und meine Fahrspur befand sich jetzt rechts von mir. Die Rücklichter brannten sich rot in meine Netzhaut. Merlin, der ebenfalls herumgeschleudert worden war, aber offensichtlich seine Nahtod-Erfahrung unbeschadet überstanden hatte, kratzte sich hinter dem Ohr.
    »Jesus«, krächzte ich. »O mein Gott! Allmächtiger!« Der Motor war aus, und als ich den Schlüssel im Zündschloss drehte, sprang er zwar an, aber ich bekam das Auto nicht ins Rollen, so sehr ich es auch versuchte. Ich hörte, wie die Räder durchdrehten, doch das Auto fuhr einfach nicht los. Meine Hände und meine Beine zitterten unkontrolliert. Ich blickte den Hügel hinunter. Nichts. Keine Bewegung. Kein Geräusch.
    Was sollte ich tun? Ich verrenkte mir den Hals, um etwas zu sehen, aber nichts deutete auf einen Autounfall hin. Sollte ich jemanden anrufen? Aussteigen und nachgucken? Im Schlafanzug? Allein? Nein, da war es schon besser, jemanden anzurufen. Die Polizei. Wer wusste schon, was für ein Irrer sich da draußen herumtrieb. Höchstwahrscheinlich ein Betrunkener. Ja, ich sollte auf keinen Fall aussteigen. Das wäre sehr dumm! Ich sollte die Polizei anrufen, im Auto bleiben und die Türen verriegeln. Und dann in aller Ruhe abwarten, bis die Polizei da war.
    Mit zitternden Händen löste ich meinen Gurt und kramte im Dunkeln in meiner Tasche nach dem Handy. Die Polizei anrufen. Das war das Beste. Ich war völlig zitterig und durchgedreht und konnte es nicht finden. Wo war das verdammte Ding? Ich zerrte meine Tasche auf den Schoß. Ich war ganz sicher, dass es darin war. Zu Hause war es noch darin gewesen. Ich blickte noch einmal hinter mich. Nichts. Keine Bewegung. Kein Geräusch. Ärgerlich warf ich die Tasche wieder auf den Beifahrersitz. Kein Handy. Was sollte ich nur machen? O Gott. Was sollte ich bloß machen, ohne Handy und mit einem Auto, das nicht fuhr? Dann durchzuckte mich ein neuer Gedanke, der meine Panik noch vergrößerte. Wenn nun der andere Fahrer verletzt war? Vielleicht sogar tot? Igitt! Wenn es überhaupt kein Irrer war? Vielleicht ein alter Mensch? Vielleicht ein Siebzigjähriger, der einen Herzinfarkt gehabt hatte. Oder einen epileptischen Anfall? Oder einen Schlaganfall? O Gott.
    Ich sah schon die Schlagzeile vor mir: »Herzlose Frau lässt verletzten Rentner sterbend zurück.« – »Merlin«, sagte ich entschlossen. »Wir müssen aussteigen. Wir müssen aussteigen und nachsehen, ob alles in Ordnung ist. Und benimm dich gefährlich, hörst du? Nur für den Fall der Fälle. Wild und gefährlich, okay?«
    Merlin spitzte die Ohren und legte den Kopf schräg. »Mach grrr. Okay? Grrr! Schön laut. Zeig deine Zähne.«
    Die Nachtluft fühlte sich an meinen nackten Beinen kühl und feucht an. Merlin freute sich über die Entwicklung dieses unerwarteten Abenteuers. Er sprang heraus und begann eifrig zu schnüffeln. Wie sehr ich ihn um sein Selbstvertrauen beneidete. Er machte sich überhaupt keine Sorgen. Es war mitten in der Nacht. Ja, und? Es war nur ein bisschen dunkler wie tagsüber. Ach, wenn ich doch ein dummer Hund sein könnte! Ich war diese Strecke schon tausendmal gefahren, aber im Dunkeln kam sie mir plötzlich völlig unbekannt vor. Düster. Einsam. Finster.
    Beängstigend. Ich sah schon eine weitere Schlagzeile vor mir: »Hilflose Frau in fragwürdiger Nachtwäsche auf Landstraße überfallen und vergewaltigt.« Eine Waffe. Ich brauchte eine Waffe. In Jonathans Wagen musste sein Kricketschlagholz liegen. Damit konnte ich mich
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