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Herzflimmern

Herzflimmern

Titel: Herzflimmern
Autoren: Barbara Wood
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Versagerin war. Am Ende war sie nicht als erste oder zweite eingelaufen, sondern als dritte, aber das machte nichts, weil es auch für die Drittplacierte einen Preis gab, einen großen, teuren Malkasten, den Ruth unter ihrem Regenmantel nach Hause trug. Als ihr Vater aus dem Krankenhaus heimgekommen war, hatte sie ihm den Preis scheu auf den Schoß gelegt, und zum erstenmal in Ruths zehnjährigem Leben war ihr Vater stolz auf sie gewesen.
    Keine geringe Leistung, sich die Bewunderung und den Beifall des Mannes zu erwerben, der es ihr zehn Jahre lang nachgetragen hatte, daß sie als Mädchen zur Welt gekommen war. Dr. Mike Shapiro hatte den Malkasten auf das Kaminsims gelegt, wo die Fotografien und Ehrenurkunden von Ruths drei Brüdern standen, und hatte in den folgenden Tagen jedem, der zu Besuch ins Haus kam, den Preis mit der Bemerkung gezeigt: »Man sollte es nicht für möglich halten! Unsere dicke kleine Ruth hat dieses Prachtstück beim Langstreckenlauf gewonnen.«
    Sechs herrliche Tage lang hatte sich Ruth im Stolz ihres Vaters gesonnt, überzeugt, daß jetzt alles gut werden, es keine kritischen Bemerkungen und keine enttäuschten Blicke mehr geben würde. Bis ihr Vater sie eines Tages beim Mittagessen ganz beiläufig gefragt hatte: »Übrigens Ruthie, wie viele Kinder haben eigentlich an dem Rennen teilgenommen?«
    An diesem grauenvollen Tag war sie von ihrer rosaroten Wolke gefallen, und alles war mit einem Schlag und für immer wieder beim alten gewesen. »Drei«, hatte sie gepiepst, und ihr Vater hatte so laut gelacht wie nie {13} zuvor und nie mehr danach. Die Episode war ins Schatzkästlein der Familienanekdoten gewandert, die im Lauf der Jahre immer wieder zum besten gegeben wurden, und Dr. Shapiros Gelächter war immer gleich herzhaft gewesen.
    »Au!« schrie sie jetzt auf, machte einen einbeinigen Sprung und ließ sich ins Gras fallen, um den spitzen Kieselstein zu entfernen, der ihr in die Sandale gerutscht war.
    Zu Ruths großer Überraschung war ihr Vater am Vortag zum Flughafen mitgekommen. Sie hatte geglaubt, nur ihre Mutter würde sie begleiten, und ihr Vater würde es bei einer kurzen Umarmung und einem flüchtigen Kuß an der Haustür bewenden lassen. Doch er hatte sich wie selbstverständlich ans Steuer des Wagens gesetzt, als sie losgefahren waren, und sie hatte sich voll ängstlicher Erregung der Hoffnung hingegeben, dies könnte die langersehnte Versöhnung sein. Aber es war wieder eine Illusion gewesen. Er hatte ihr Gepäck aufgegeben, war mit ihr zum Flugsteig gegangen und hatte, nachdem er ihr kurz die Hand gedrückt hatte, gesagt: »Ich geb dir bis Weihnachten, Ruthie. Spätestens dann wirst du gemerkt haben, daß ich recht hatte.«
    Weihnachten. Fünfzehn Wochen waren es bis dahin; bis sich zeigen würde, ob Mike Shapiros Vorhersage sich bewahrheiten würde.
»Du
willst Medizin studieren? Ach, Ruthie, du bist eine richtige Träumerin. Geh auf Nummer sicher und mach etwas, das deinen Fähigkeiten entspricht. Wenn man zu hoch hinaus will, ist der Sturz um so tiefer. Du weißt doch, wie schlecht du Niederlagen erträgst. Du warst nie eine gute Verliererin, Ruth. Du glaubst wohl, so ein Medizinstudium wäre eine Kleinigkeit? Nein, nein, hör nicht auf mich, ich bin ja nur Arzt, was weiß ich schon darüber? Versuch’s ruhig. Denk nur daran, daß es kein Kinderspiel ist.«
    Es war ungerecht. Mit Joshua und Max redete er nie so, nahm ihnen niemals gleich von vornherein allen Wind aus den Segeln. Selbst Judith, die Jüngste, wurde von ihm stets ermutigt, nach den Sternen zu greifen. Warum hat er es immer nur auf mich abgesehen? Warum kann er mich nicht lieben?
    Als Ruth endlich wieder auf den Füßen stand und den Kleinkram eingesammelt hatte, der ihr aus der Schultertasche gefallen war, läutete es vom Glockenturm die Mittagsstunde. Ruth schimpfte vor sich hin. Die Kasse war von zwölf bis zwei geschlossen.
     
    Mickey Long trat durch die Glastür der Manzanitas Hall in den milden Septembermittag hinaus und blieb stehen, um sich umzusehen. Dann beugte sie sich von neuem über den Lageplan des Colleges.
    {14}
    Die Manzanitas Hall war, seitdem sie am Morgen die Aula verlassen hatte, das fünfte Gebäude, in das ihre Suche sie geführt hatte, und sie war wieder nicht fündig geworden. Das Campus war nicht groß, es waren nicht mehr viele Gebäude übrig, wo sie suchen konnte. Der Verdacht, der sich in ihr regte, beunruhigte sie tief, und beinahe panisch rannte sie weiter zur Encinitas Hall,
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