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Herzflimmern

Herzflimmern

Titel: Herzflimmern
Autoren: Barbara Wood
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sie schauspielerte. Es war beinahe so, als hätte sie nur ihren Körper nach Los Angeles geschickt und wäre mit der Seele in Seattle geblieben.
    In der vergangenen Nacht hatte Mickey, die im Nebenzimmer schlief, gehört, wie Ruth im Schlaf aufgeschrien hatte. Am Morgen hatte die Freundin ausgesehen, als hätte sie die ganze Nacht kein Auge zugetan.
    Hier am Strand, nach Mickeys Frage, ob etwas nicht in Ordnung wäre, hatte Ruth endlich ihr Herz ausgeschüttet. Sie erzählte vom Tod ihres Vaters, dem wiederkehrenden, beängstigenden Traum, Arnies Verhältnis zu einer anderen Frau.
    »Weißt du noch, Mickey, als ich unbedingt noch ein letztes Kind haben wollte?« murmelte Ruth. »Und Arnie mir daraufhin mit einer Vasotomie drohte? Es ist gut, daß wir kein Kind mehr bekommen haben. Es wäre jetzt fünf Jahre alt, und ich wäre wahrscheinlich total überfordert. Meine Kinder entfernen sich von mir. Die Mädchen sind Fremde. Ich kenne sie nicht mehr; sie sind so selbständig geworden. Rachel hat einen Freund, einen Punker. Sie kommt nachts nach Hause, wann sie will. Und die Zwillinge haben schon mehrmals Briefe von den Lehrern nach Hause gebracht. Ihre Einstellung ließe zu wünschen übrig. Ihre Noten werden immer schlechter. Leah ist nicht zu bändigen und macht in der Schule nur Schwierigkeiten. Ich verliere immer mehr die Kontrolle, Mickey. Mein Leben zerbricht. Mit meiner Kolumne fing es an; erst kam ich dauernd mit den Terminen unter Druck, und ehe ich’s mich versah, war ich hoffnungslos hinterher. Dann hatte ich plötzlich viel mehr Patienten, als ich überhaupt behandeln konnte. Ich bekam Panik. Ich hatte meine Fähigkeit, mir Zeit zu schaffen, verloren. Wo hab’ ich nur früher die Zeit hergenommen, alles unterzubringen? Wenn ich zurückblicke, kann ich es kaum glauben. In letzter Zeit ist schon das Aufstehen ein Kampf, und es kostet mich wahnsinnige Anstrengung, pünktlich in die Praxis zu kommen. Und wenn ich dann dort bin, sehe ich die viele Arbeit, die auf mich wartet, und denke nur: ich schaff’ es nicht.«
    Ruth hatte ein Gefühl, als läge in ihrem Magen eine kalte Metallfeder, die sich mit jeder Woge, die an den Strand schlug, straffer spannte. Was tat sie hier, an diesem Ort, an den sie nicht mehr gehörte? Der Strand hier, {327} das College oben auf den Felsen, selbst die kreischenden Möwen in der Luft erschienen ihr wie der reine Hohn; eine Erinnerung daran, was sie hätte sein können und was für eine Versagerin sie geworden war.
    Am Morgen, als Sondra vorgeschlagen hatte, zum Campus hinauszufahren, hatte Ruth den Gedanken gut gefunden. Jetzt wünschte sie, sie wäre nicht mitgekommen. Selbst hier, am Rand des Ozeans, fühlte sie sich eingesperrt wie in einer Falle.
    »Mein Gott, Mickey«, sagte sie, die Arme fest um die angezogenen Beine geschlungen, den Kopf auf den Knien, »was soll ich nur tun?«
    Sondra war umgekehrt und gesellte sich wieder zu ihnen, als Ruth gerade sagte: »Ich war immer eine gute Diagnostikerin. Weißt du noch, als wir lernten mit dem Stethoskop umzugehen und ich bei Stan Katz ein Nebengeräusch am Herz entdeckte? Erinnerst du dich an Mandells Reaktion? Er war überzeugt, ich hätte bereits vorher jahrelange Erfahrungen gehabt. Anscheinend kann ich bei anderen ausgezeichnet diagnostizieren, nur bei mir selbst nicht. Ich habe nichts von der Krankheit gemerkt, die sich in mein Leben geschlichen hatte – eine kaputte Ehe, ein unglücklicher Ehemann, Töchter, die außer Rand und Band sind. Und ich weiß nicht, was ich tun soll.«
    Sondra, die keine Vorstellung davon hatte, wie es war, wenn man nicht wußte, was man tun sollte, wandte den Blick von Ruths trostlosem Gesicht und hielt ihr Gesicht in den frischen Wind, der vom Meer her wehte. Sie schloß die Augen und sah auf der anderen Seite dieses riesigen Gewässers ein Ufer mit sonnenheißen Häusern und braunen Menschen.
Ihr
Ufer, das winkte und lockte wie schon vor Jahren – vor Kenia, vor dem Medizinstudium, vor der Entdeckung der Adoptionsunterlagen. Sondra hatte immer gewußt, was sie zu tun hatte.
    Und sie wußte es auch jetzt. Sechs Monate waren vergangen, seit sie ihren Sohn das letztemal geküßt, seit sie an Derrys Grab gestanden hatte. Es war Zeit heimzukehren.
    Aber noch nicht ganz. Noch nicht ganz. Erst mußte der körperliche Heilungsprozeß abgeschlossen sein; und erst mußte noch etwas zu Ende gebracht werden, was unerledigt geblieben war. An diesem Tag. Denn Sondra wußte, daß die drei Freundinnen
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