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Herz der Finsternis

Titel: Herz der Finsternis
Autoren: Joseph Conrad
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einen Mann, der viel Einfluß hat auf   ... ‹ etc. etc. Sie war fest entschlossen, alle Hebel in Bewegung zu setzen, bis ich als Skipper auf einem Flußdampfer angestellt
     wäre, wenn das mein Wunsch war.
    Ich bekam meine Anstellung – natürlich; und ich bekam sie sehr schnell. Offenbar hatte die Firma Nachricht erhalten, einer
     ihrer Kapitäne sei bei einer Auseinandersetzung mit den Eingeborenen getötet worden. Das war meine Chance, und es machte mich
     noch ungeduldiger aufzubrechen. Erst viele Monate später, beim Versuch, seine sterblichen Überreste zu bergen, fand ich heraus,
     daß der Streit ursprünglich wegen eines Mißverständnisses um ein paar Hennen entbrannt war. Ja, wegen zwei schwarzer Hennen.
     Fresleven – so hieß der Kerl, ein Däne – fühlte sich bei dem Handel irgendwie über den Tisch gezogen, also ging er an Land
     und schlug mit einem Stock auf den Häuptling des Dorfes ein. Oh, es überraschte mich nicht im geringsten, das zu hören und
     zur gleichen Zeit, daß Fresleven das sanfteste, ruhigste Geschöpf gewesen sei, das sich je auf zwei Beinen bewegte. Zweifellos
     verhielt es sich so, doch er war bereits ein paar Jahre dort draußen, im Dienst der edlen Sache, ihr wißt schon, und wahrscheinlich
     hatte er am Ende doch das Bedürfnis, seine Selbstachtung irgendwie wiederherzustellen. Also prügelte er gnadenlos auf den
     alten |15| Nigger ein, während ein Großteil von dessen Stamm wie vom Donner gerührt zusah, bis einer – der Sohn des Häuptlings, sagte
     man mir – in seiner Verzweiflung darüber, den Alten schreien zu hören, zaghaft mit dem Speer in Richtung des weißen Mannes
     stach – und natürlich glitt der Speer ganz leicht hinein zwischen den Schulterblättern. Daraufhin, in Erwartung irgendeines
     großen Unheils, verschwand das gesamte Volk im Urwald, während das Dampfschiff, dessen Kommando Fresleven hatte, ebenfalls
     in Panik abfuhr, unter dem Befehl des Ingenieurs, glaube ich. Später schien sich keiner weitere Gedanken um Freslevens Überreste
     zu machen, bis ich kam und in seine Fußstapfen trat. Ich konnte die Sache nicht auf sich beruhen lassen, aber als sich endlich
     die Gelegenheit bot, meinen Vorgänger kennenzulernen, war das Gras, das ihm durch die Rippen wuchs, so hoch, daß es die Knochen
     verbarg. Sie waren noch vollzählig. Man hatte das übernatürliche Wesen nach seinem Fall nicht angerührt. Und das Dorf war
     ausgestorben, die Hütten innerhalb der verfallenen Einfriedung gähnten schwarz, völlig windschief, und verrotteten. Ein Unheil
     war geschehen, soviel war klar. Die Bewohner waren verschwunden. Rasender Schrecken hatte sie in den Busch verscheucht, Männer,
     Frauen und Kinder, und sie waren nie zurückgekehrt. Auch was aus den Hennen wurde, weiß ich nicht. Ich schätze aber, der Fortschritt
     hat sie erwischt, so oder so. Jedenfalls verdankte ich dieser glorreichen Begebenheit, daß ich meine Anstellung bekam, bevor
     ich recht darauf zu hoffen begonnen hatte.
    Ich hetzte herum wie ein Verrückter, um alles zu erledigen, und überquerte binnen achtundvierzig Stunden den Kanal, um mich
     meinen Arbeitgebern vorzustellen und den Vertrag zu unterzeichnen. Nach wenigen Stunden erreichte ich die Stadt, die mich
     stets an ein getünchtes Grab erinnert. Zweifellos ein Vorurteil. Ich fand die Büros der Handelsgesellschaft ohne |16| Schwierigkeiten. Sie war das größte Unternehmen in der Stadt und jeder, der mir begegnete, war stolz darauf. Man war im Begriff,
     ein Imperium in Übersee aufzubauen und durch Handel Geld wie Heu zu machen.
    Eine schmale, ausgestorbene Straße tief im Schatten, hohe Häuser, unzählige Fenster mit Fensterläden, Totenstille, Gras, das
     zwischen den Pflastersteinen wucherte, eindrucksvolle Kutschentore rechts und links, mächtige Flügeltüren, die gewichtig halb
     offenstanden. Durch einen solchen Spalt schlüpfte ich hinein, stieg eine geschwungene, schmucklose Treppe hinauf, öde wie
     die Wüste, und öffnete die erste Tür, an die ich kam. Zwei Frauen, eine dick, die andere schlank, saßen auf Stühlen mit Sitzen
     aus Strohgeflecht und strickten schwarze Wolle. Die Schlanke stand auf und kam auf mich zu – mit gesenktem Blick, ohne die
     Strickarbeit zu unterbrechen   –, und erst in dem Moment, als ich ihr schon aus dem Weg treten wollte, wie man es für einen Schlafwandler täte, blieb sie
     stehen und sah mich an. Ihr Kleid war schlicht wie ein Regenschirmfutteral; wortlos drehte sie
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