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Herr Palomar

Herr Palomar

Titel: Herr Palomar
Autoren: Italo Calvino
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Haut, weicht zurück, wie um mit leichtem Erschauern die andersartige Konsistenz des Erblickten zu prüfen und seinen besonderen Wert einzuschätzen, verharrt für einen Moment in der Schwebe und beschreibt eine Kurve, die der Wölbung des Busens in einem gewissen Abstand folgt, ausweichend, aber zugleich auch beschützend, um schließlich weiterzugleiten, als sei nichts gewesen.
     So dürfe nun meine Position – denkt Herr Palomar – ziemlich klar herauskommen, ohne Mißverständnissen Raum zu lassen. Doch dieses Überfliegenlassen des Blickes, könnte es nicht am Ende als eine Überlegenheitshaltung gedeutet werden, eine Geringschätzung dessen, was ein Busen ist und was er bedeutet, ein Versuch, ihn irgendwie abzutun, ihn an den Rand zu drängen oder auszuklammern? Ja, ich verweise den Busen noch immer in jenes Zwielicht, in das ihn Jahrhunderte sexbesessener Prüderie und als Sünde verfemter Begehrlichkeit eingesperrt haben!
     Eine solche Deutung stünde quer zu den besten Absichten des Herrn Palomar, der, obwohl Angehöriger einer älteren Generation, für welche sich Nacktheit des weiblichen Busens mit der Vorstellung liebender Intimität verband, dennoch mit Beifall diesen Wandel der Sitten begrüßt, sei's weil sich darin eine aufgeschlossenere Mentalität der Gesellschaf bekundet, sei's weil ihm persönlich ein solcher Anblick durchaus wohlgefällig erscheinen kann. So wünscht er sich nun, daß es ihm gelingen möge, genau diese uneigennützige Ermunterung in seinem Blick auszudrücken.
     Er macht kehrt und naht sich entschlossenen Schrittes noch einmal der Frau in der Sonne. Diesmal wird sein unstet über die Landschaf schweifender Blick mit einer besonderen Aufmerksamkeit auf dem Busen verweilen, aber er wird sich beeilen, den Busen sogleich in eine Woge von Sympathie und Dankbarkeit für das Ganze mit einzubeziehen: für die Sonne und für den Himmel, für die gekrümmten Pinien, das Meer und den Sand, für die Düne, die Klippen, die Wolken, die Algen, für den Kosmos, der um jene zwei aureolengeschmückten Knospen kreist. Das dürfe genügen, um die einsame Sonnenbadende definitiv zu beruhigen und alle abwegigen Schlußfolgerungen auszuräumen. Doch kaum naht er sich ihr von neuem, springt sie auf, wirft sich rasch etwas über, schnaubt und eilt mit verärgertem Achselzucken davon, als fliehe sie vor den lästigen Zudringlichkeiten eines Satyrs.
     Das tote Gewicht einer Tradition übler Sitten verhindert die richtige Einschätzung noch der aufgeklärtesten Intentionen, schließt Herr Palomar bitter.
     

Das Schwert der Sonne
    Der Reflex auf dem Meer entsteht, wenn die Sonne sich neigt: Vom Horizont her schiebt sich ein blendender Fleck zum Ufer, ein Streifen aus tanzenden Glitzerpunkten; dazwischen verdunkelt das Mattblau des Meeres sein Netz. Die weißen Boote werden im Gegenlicht schwarz, verlieren an Konsistenz und Volumen, erscheinen wie aufgesogen von jener glitzernden Sprenkelung.
     Um diese Zeit macht sich Herr Palomar, der ein Spätling ist, an sein Abendschwimmen. Er geht ins Wasser, löst sich vom Ufer, und der Sonnenreflex auf dem Meer wird ein schimmerndes Schwert, das sich vom Horizont heran bis zu ihm erstreckt. Herr Palomar schwimmt in dem Schwert, oder besser gesagt, das Schwert bleibt immer vor ihm, bei jedem seiner Schwimmstöße weicht es zurück und ist nie zu erreichen. Wohin er die Arme auch wirf, überall nimmt das Meer seine abendlich dunkle Färbung an, die sich hinter ihm bis zum Ufer erstreckt.
     Während die Sonne tiefer sinkt, färbt der Reflex sich von schimmerndem Weiß zu kupfergoldenem Rot. Und wohin Herr Palomar sich auch wendet, stets ist er selber die Spitze des schlanken Dreiecks. Das Schwert folgt ihm und deutet auf ihn wie ein Uhrzeiger mit der Sonne als Zapfen. Ein Gruß, den die Sonne mir ganz persönlich entbietet – ist Herr Palomar zu denken versucht, oder besser gesagt, nicht er, sondern das egozentrische und großen wahnsinnige Ich in seinem Innern. Aber das depressive und selbstquälerische Ich, das mit dem anderen zusammen im gleichen Gehäuse wohnt, erwidert: Jeder, der Augen hat, sieht, daß der Reflex ihm folgt; die Täuschung der Sinne und Gedanken hält uns alle gefangen. – Ein dritter Mitbewohner interveniert, ein eher ausgeglichenes Ich: Wie dem auch sei, ich gehöre jedenfalls zu den fühlenden und denkenden Wesen, die fähig sind, in ein Verhältnis mit den Sonnenstrahlen zu treten und nicht nur Wahrnehmungen zu interpretieren,
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