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Herbstvergessene

Titel: Herbstvergessene
Autoren: dtv
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mich, zeitgleich in ihr Haus gelockt. Dort war es dann zu einer Art zähneknirschenden Versöhnung gekommen, bei der keine von uns echte Einsicht zeigte und sich entschuldigte (wofür auch!). Und auf die Phase des verbissenen Schweigens war dann eine Phase der verbissenen Weihnachtsgrüße gefolgt, die irgendwann auch Geburtstagskarten einschloss. Das einzige Mal, das ich Mutter nach diesem unfreiwilligen Treffen in Oma Charlottes Haus wiedersah, war bei deren Beerdigung.
    Meine Mutter hat mir nie verziehen, dass ich nicht die gleichenTräume habe, die gleichen Vorstellungen davon, was im Leben erstrebenswert ist. Sie hat mir nie verziehen, dass ich nicht wie sie bin. Das klingt hart, aber es trifft den Nagel auf den Kopf. Sie war schon immer stark und sicher, extrem selbstbewusst. Mutter hatte Gewissheiten. Sie konnte charmant sein, hatte Humor und zeigte ihn auch (wenn sie wollte und wenn sie jemanden mochte). Aber sie konnte genauso gut beißend und zynisch sein (wenn sie jemanden nicht mochte). Vor allem aber glänzte sie auf gesellschaftlichem Parkett und betrieb Konversation par excellence. Eine Kunst, die mir immer fremd gewesen ist.
     
    Durch den eisigen Nieselregen sah ich in die Richtung, aus der die Straßenbahn kommen sollte. Am Sonntag war der erste Advent und die Straßen und Schaufenster waren schon geschmückt. Ich liebte all die Lichter und den festlichen Glanz, auch wenn das natürlich nur dazu diente, das Vorweihnachtsgeschäft anzukurbeln. Als die Tram nach zehn Minuten noch immer nicht kam, nahm meine Ungeduld überhand. Ich trat aus dem Wartehäuschen in den Regen, zurrte mir den Schal zurecht, stellte den Kragen auf und lief los. Das hatte nichts damit zu tun, dass ich Mutter nun doch so schnell wie möglich sehen wollte. Ich war nur generell unfähig, längere Zeit auf etwas zu warten.
    Der Nieselregen ließ mein Gesicht prickeln, Nässe kroch unter meinen Kragen und ich fluchte darüber, dass ich keinen Schirm dabeihatte. Wolf rührte jetzt wahrscheinlich gerade in den Töpfen und kochte sich ein feines Abendessen, wobei er sich ab und zu einen Schluck Rioja genehmigte. Mir wurde warm ums Herz und die Ressentiments gegen ihn, die ich in den letzten Monaten immer öfter gehabt hatte, waren plötzlich wie weggewischt. Meine verkrampften Gesichtsmuskeln entspannten sich und unwillkürlich lächelte ich: Morgen wäre ich wieder zurück, Wolf würde mich vom Flughafen abholen, nach Hause fahren und etwas Leckeres für mich kochen. AllesUnangenehme läge hinter mir und er und ich würden wieder neu beginnen.
     
    Als ich eine halbe Stunde später vor der Haustür stand, lag die Feuchtigkeit wie ein Gewicht auf meinen Schultern. Ich schloss kurz die Augen und klingelte. Das Herz schlug mir bis zum Hals, meine Handflächen schwitzten, die Finger waren steif vor Kälte. Gleich würde sie den Summer betätigen, die Tür würde aufgehen, ich würde die vier Stockwerke zu Fuß hinaufgehen, nicht weil ich so sportlich war, sondern weil ich es im Moment nicht ertragen könnte, irgendwo herumzustehen – auch nicht in einem ratternden Jugendstilaufzug, dessen skurrile Eleganz ich sonst gerne bewundert hätte. Ich klingelte noch einmal. Vielleicht hatte sie es nicht gehört. Ich starrte die Tür an, ratlos, abwartend. Hinter mir rauschte der Regen, ich drehte mich um und sah zu, wie die Tropfen auf den Bürgersteig fielen und zerplatzten. Meine Fußspitzen in den Lederstiefeln waren kalt und feucht, das Braun des Leders war dunkel, fast schwarz. Als nach wiederholtem Klingeln immer noch nichts geschah, regte sich Unmut in mir. Wo war sie? Abrupt wandte ich mich ab. Dann eben nicht! Dachte sie, ich würde hier auf sie warten wie ein entlaufenes Hündchen? Nein, nicht mit mir. Ich würde jetzt gemütlich ins Hotel gehen, duschen, mir trockene Sachen anziehen und dann weitersehen.
     
    Das
Hotel Kugel
lag ebenfalls in der Siebensterngasse, nur ein paar Häuser weiter. Ich öffnete die Tür und ein überheizter Vorraum empfing mich. Der Mann an der Rezeption war groß und dürr. Er schaute mich mit geschäftsmäßiger Freundlichkeit an, ich nannte meinen Namen, schob ihm meinen Pass zu, woraufhin er ein Formular vor mich hinlegte. Hinter ihm an der Wand hing ein altmodisches Schild, auf dem die verehrten Gäste darauf hingewiesen wurden, dass man hier nur bar bezahlen konnte. Und im Voraus. Am liebsten hätte ich auf dem Absatz kehrtgemacht, doch der Wunsch nach heißem Wasserund trockenen Kleidern war
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