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Herbst - Stadt

Herbst - Stadt

Titel: Herbst - Stadt
Autoren: David Moody
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beobachtet, wie die Flammen ungehindert die verglaste Eingangstür, durch die er Tausende Male gegangen war, verschlangen. Am Schulhof der Grundschule am Ende seiner Straße hatte er die zu Boden gestürzten Körper der Eltern, umgeben von den uniformierten Leichnamen ihrer kleinen Kinder, gesehen. In die Vorderseite eines Hauses, nur sieben Türen von seinem eigenen entfernt, war ein Auto geprallt. Zwischen den Trümmern und den staubigen Schutt hindurch hatte er den leblosen, in einem Sessel zusammengesunkenen Körper der Hausbesitzerin gesehen.
    Was geschehen war, ergab keinen Sinn. Es existierten dafür keine einleuchtenden Gründe. Niemand war übriggeblieben, der ihm eine Erklärung liefern konnte. Von Jack abgesehen schien niemand sonst am Leben geblieben zu sein. Irgendwie schien er der Einzige zu sein, der in all dieser Verwüstung überlebt hatte.
    Jack hatte seine krebskranke Frau Denise vor etwa fünfzehn Monaten verloren. In mancher Hinsicht machte es ihm dieser unermessliche Verlust nun leichter, das Geschehene hinzunehmen und weiterhin zu handeln. Er hatte bereits getrauert. Er war es bereits gewöhnt, in ein kaltes, stilles und leeres Haus heimzukehren. Aus diesem Grund war er froh gewesen, seit ihrem Tod nachts arbeiten zu können. Er hatte es überwiegend vermieden, mit dem Großteil der Bevölkerung in Berührung zu kommen, seit ihm seine Frau genommen worden war. Niemand begriff, was sie durchgemacht hatte, und niemand konnte dabei helfen, es leichter zu ertragen. Selbst jetzt, vierhundertundsiebenunddreißig Tage nach ihrem Dahinscheiden, schmerzte die Erinnerung an die physische und psychische Qual, mit der er Zeuge ihres Leidens geworden war, tausendmal mehr als das, was er an diesem ersten Morgen fühlte, während er zwischen den Leichen umherschritt.
    Sobald er zu Hause angekommen war, hatte Jack versuchte, mit dem Rest der Welt Kontakt aufzunehmen. Er hatte jede einzelne der ungefähr dreißig Telefonnummern in seinem Adressbuch ausprobiert und ein paar Anrufe geschafft, bevor der Anschluss endgültig tot war. Niemand hatte geantwortet. Er hatte eine Zeit lang Radio gehört. Das Geräusch, das es machte, war beunruhigend. Er hatte rauschende Störgeräusche erwartet, doch für eine lange Zeit kam gar nichts, nur eine endlose und leere Stille. Ein Sender, auf den er gestoßen war, hatte immer noch Musik gespielt. Er hatte hoffnungsvoll und nervös zugehört, als die letzten paar Töne des Schlussliedes verklangen, bis sie von derselben unbarmherzigen Stille ersetzt wurden, die sich überall ausgebreitet hatte. In seinen Gedanken sah er vor sich, wie Radiomoderatoren, Nachrichtensprecher, Techniker und Redakteure tot in ihren Studios lagen, während eine Zeit lang durch die automatischen Maschinen weiter gesendet worden war.
    Er hatte viel seiner Zeit damit verbracht, die Außenwelt vom Obergeschoss aus zu beobachten, zu hoffen und zu beten, dass irgendetwas geschehen würde, das diesen Albtraum erklären oder sogar beenden würde. Aber es tat sich nichts. Als er aus den Hinterzimmern nach draußen geschaut hatte, hatte er den verkrümmten, leblosen Körper seines betagten Nachbarn Stan Chapman gesehen, der mitten auf seinem kalten, nassen Rasen lag. Niemand, so schien es, war verschont worden.
    Aufgrund seiner Arbeitszeiten verliefen Jacks Tage entgegengesetzt zu denen der meisten Leute. Trotz allem, was geschehen war, fiel es ihm um die Mittagszeit des ersten Tages schwer, die Augen offen zu halten. Er war im Halbschlaf durch einen langen und desorientierten Nachmittag und Abend gedämmert und hatte dann in der Dunkelheit am Ende seines Bettes gesessen, scheinbar eine quälende Ewigkeit lang, hellwach, einsam und wie versteinert. Und der nächste Tag war sogar noch härter zu überstehen gewesen. Er tat nichts außer dazusitzen, finstere, schreckenerregende Gedanken zu wälzen und sich selbst zahllose Fragen zu stellen, die unmöglich zu beantworten waren. Eine Zeit lang hatte er in Erwägung gezogen, nach draußen zu gehen und nach Hilfe Ausschau zu halten, war dann aber doch zu verängstigt gewesen, um sein Vorhaben weiter als bis zur Hälfte die Treppe hinunter in die Tat umzusetzen, bevor er wieder umkehrte und in die verhältnismäßige Sicherheit der Zimmer im Obergeschoss zurückkehrte. Als das erste Licht des Dienstagmorgens über die verwüstete Landschaft kroch, war das, was von Jacks verheerter Welt übrig geblieben war – wodurch auch immer – abermals auf den Kopf gestellt
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