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Heinrich Mueller 05 - Mordswein

Heinrich Mueller 05 - Mordswein

Titel: Heinrich Mueller 05 - Mordswein
Autoren: Paul Lascaux
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sattem Grün. Der Blick schwenkte über den See, über dem leichter Dunst lag, bis in die Voralpen, die typische Sicht von erhöhter Lage am Jurasüdfuß.
    Aber nicht um die Architektur von Mario Botta zu bewundern, waren Bernhard Spring und Heinrich Müller an diesem strahlenden Sommertag nach Neuchâtel – oder deutsch Neuenburg – gerufen worden. Sie standen auch nicht aus literarischen Gründen auf der Terrasse des Centre Dürrenmatt, das dem ehemaligen Wohnhaus des Schweizer Schriftstellers angegliedert war – oder war eher das Wohnhaus dem Architekturdenkmal angeschlossen?
    Jedenfalls durchbrach ein hingeworfener Männerkörper die strenge Eleganz des Terrassenbodens, und ein glänzend bordeauxroter Fleck Feuchtigkeit kontrastierte mit dem Schwarz der edlen Steine. Kein zu später Stunde ausgeschütteter Trank eines Weinliebhabers, sondern Blut, das aus einer tiefen Wunde geflossen war.
    In Neuchâtel hatte Spring normalerweise nichts zu suchen, und die welschen Kollegen waren durchaus fähig, Tötungen aufzuklären. Denn um eine Tötung handelte es sich hier mit Bestimmtheit. Die Wunde stammte von einer großkalibrigen Kugel aus einer Pistole oder einem Revolver. Gut gezielt, mitten ins Herz, der Mann hatte nicht lange zu leiden gehabt.
    Nein, die Neuenburger Polizei hatte den Störfahnder aufgeboten, weil der Tote ein Berner war, jedenfalls so weit man den Ausweispapieren glauben konnte, die er auf sich trug. Dazu kam: Nicht einfach irgendein Berner, sondern Henri Knecht, das Aushängeschild der SEBP, der Staatserhaltenden BürgerPartei, Großrat im Kanton Bern sowie wegen seiner guten Beziehungen zu den Winzerregionen zuständig für den Aufbau der Parteisektionen in der Westschweiz. Als einer der wenigen gestandenen Kollegen mit ausreichenden Französischkenntnissen hatte er den Auftrag gerne übernommen. »Inmitten der Mitte« warb die SEBP auf flächigen Plakaten für sich, was sich auf Französisch leider schon mal schlecht übersetzen ließ, denn mit »Au milieu du milieu« verbanden Frankophile eher das horizontale Gewerbe als eine bürgerliche Partei, die ohnehin erst seit 20 Jahren existierte.
    »Nehmen Sie le Großrat avec vous à Berne«, sagte der Kommissar der Neuenburger Kantonspolizei, »wir wollen keinen Scandale hier. Er gehört Ihnen.«
    Nun entsprach dies nicht genau dem protokollarischen Vorgehen, aber da sich die Neuenburger Bevölkerung in den letzten Jahren über eine exaltierte Stadtpräsidentin und laufende Untersuchungen gegen einen Regierungsrat bereits genügend aufgeregt hatte, wollte man eine zusätzliche Belastung vermeiden. Zwar war die Zuständigkeit der lokalen Polizei aufgrund des Tatortes klar, andererseits lag der Lebensmittelpunkt des Getöteten im Kanton Bern, also würde sich daraus so oder so ein Streit ergeben, dem man mit einer unbürokratischen Lösung vielleicht zuvorkommen konnte, damit nicht – wie in andern Fällen geschehen – das Bundesgericht als oberste Instanz darüber befinden musste. Das dauerte bekanntlich Jahre, und so lange konnte in einem Tötungsdelikt kein Mensch warten.
    »Wir geben Ihnen eine Ambulance«, sprach der Neuenburger weiter, »Sie bekommen Untersuchungsbericht und alle Vollmachten, aber machen Sie schnell. Der Mann … il pue déjà un peu.«
    »Hat der Rechtsmediziner seine Arbeit beendet?«, fragte Spring, dem das Ganze doch etwas unheimlich war.
    »Ja.«
    »Dann drehen Sie das Opfer bitte um.«
    Springs Wunsch wurde Genüge getan. Er hatte eine dünne Gestalt vor sich, die in ihren Kleidern schlotterte, ein drahtiger, sportlicher, asketischer Mensch mit schwarzen, kurz geschnittenen Haaren, deren graue Strähnen unter der in der Hitze schmelzenden Tönung immer deutlicher wurden. Schmal waren seine Augen, seine Ohren, schmal war seine Nase, er machte einen gehetzten Eindruck.
    »Der Mann wirkt nicht glücklich«, bemerkte Müller.
    »Hast du schon eine glückliche Leiche gesehen?«, brummte der Störfahnder.
    »Zufrieden vielleicht. Aber wie du weißt, ist das Betrachten von Leichen auch nicht das Hauptelement meines Berufes. Da geht es eher um Versicherungsbetrug und untreue Ehemänner mit Geld.«
    »Da du in letzter Zeit stets an meiner Seite bist, wirst du dich daran gewöhnen müssen. Denn es ist leider zu einer meiner Hauptaufgaben geworden, Tote näher in Augenschein zu nehmen.«
    »Er hat sich nicht rasiert«, stellte Müller fest. »Seine Gesichtshaut schimmert dunkelblau. Mindestens drei Tage her. Das passt nicht ganz
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