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Heile Welt

Heile Welt

Titel: Heile Welt
Autoren: Walter Kempowski
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können es sich doch denken, daß man ihnen das ankreidet?

    Na – comme ci, comme ça, das spielte ja jetzt keine Rolle. Was einzig zählte, war, daß auch mit diesem Menschen eine vakante Lehrerstelle zu besetzen war.

    Matthias akzeptierte das Wort«Gott»ohne weiteres, womit er auf der Wohlwollensbriefwaage des Schulrats ein kleines Guthaben ansammelte. Um einen noch besseren Eindruck zu machen, strich er sich das Haar aus der Stirn und ließ seine rehbraunen Augen vertrauenerweckend aus den Höhlungen treten. Er zog die Beine an, die er unter dem Schreibtisch des Schulrats weit von sich gestreckt hatte, und nahm die Arme von der Lehne des Korbsessels.

    Nun also die Vereidigung vornehmen.
    Es wurde aufgestanden, und die beiden sprachen die Eidesformel: der eine vor, der andere nach. Leider klingelte das Telefon während der Zeremonie, aber sie ließen sich nicht beirren, sie brachten die Sache hinter sich, und dann hörte das Klingeln auf. Worauf man sich wieder setzte. Zu Hause würde der Schulrat es seiner Frau erzählen: Denk mal, als ich heute einen jungen Mann vereidigte, klingelte das Telefon!

    Ah – eben noch unterschreiben… Der Schnellhefter wird herumgedreht, da steht’s, daß man vereidigt worden ist, und was alles damit zusammenhängt: Residenzpflicht in den Ferien! Und ohne Genehmigung nicht in die Ostzone fahren! Matthias setzte seinen Namen unter das Dokument, und er dachte daran, daß er schon allerhand unterschrieben hatte in seinem Leben, Dokumente, an die er sich nicht gerne erinnerte. Der Schriftzug war immer noch der gleiche: hier unter der Vereidigungsakte und dort unter die Vergangenheit, verstaubt, aber nicht vergessen, ein Bindfaden hält die Papiere zusammen.

    Der Schulrat mochte auch schon so manches unterschrieben haben, aber daran dachte der jetzt nicht. Der dachte mehr an seinen Volkswagen, daß es eigentlich nicht geht, als Schulrat einen Volkswagen zu fahren, und noch dazu einen«Standard»von der billigsten Sorte, wie ein Tierarzt, mit Zwischengas und Handhebel zum Umschalten auf Reservetank, und er beschloß, in die nächsthöhere Klasse umzusteigen, wenn schon kein großer Wagen drin war: Der VW 1600 bot sich als Lösung an.

    Nun noch ein wenig miteinander plaudern, auf den Zahn fühlen, abtasten. Pädagogik – eigentlich ja ein herrlicher Beruf.«Wie Arzt oder Pfarrer», sagte der Schulrat. Aber wenn er an die älteren Kollegen denke… was sich da abspiele, das sei doch oft sehr bedenklich, da überwintere so mancher Kommiskopp mit einer ruhigen Kugel.

    Matthias fand ebenfalls, daß Pädagogik eine herrliche Sache sei, nicht Lehrer sein, sondern Pädagoge , das sei seine Einstellung dazu, und er führte zur Verdeutlichung seiner Lebenseinstellung die Begriffe Arzt und Mediziner an, den Unterschied, und daß er natürlich Arzt sein wolle, um im Vergleich zu bleiben, und kein Mediziner, der immerfort nur Pillen verschreibt, also an den Symptomen herumdoktert, anstatt das Übel seelisch-körperlich bei der Wurzel zu packen. Dann redete er von freischaffendem Lernen in offener Behaustheit, und daß er mit den Kindern Heu staken wolle und im Flusse baden…
    «Aber nicht zu frei, lieber Kollege», sagte der Schulrat und tippte an die Wohlwollensbriefwaage,«auch Zucht ist nötig. Zuviel Freiheit schafft plumpe Vertraulichkeit. Da sofort einen Riegel vorschieben! Unbedingt.»
    Abstand halten – eingerissene Mauern ließen sich so bald nicht wieder aufrichten. Pädagogik sei ein schwieriges Geschäft!«Respekt, verstehen Sie? Respekt muß erhalten bleiben, bis zur letzten Konsequenz.»Er habe zwar seiner Tochter erlaubt, ihn Egon zu nennen, deshalb sei er aber noch lange nicht ihr Kumpel.

    Matthias hätte gern noch dies und das zur Sprache gebracht, er hätte zunächst einmal gern gewußt, auf welche Weise man sich Respekt verschaffen kann, das war ihm irgendwie nicht klar. Wenn er in die Klasse tritt und keiner nimmt Notiz von ihm?, was wäre dann zu tun, beispielsweise?
    Statt einer Auskunft folgte ein Exkurs über die Prügelstrafe, daß die abgeschafft sei – also keine Ohrfeigen austeilen, um Gottes willen!, kein Puffen und kein Stoßen, nicht an den Haaren ziehen oder an den Ohren:«Wenn einer querschießt – einfach nicht beachten, eine Woche lang nicht ansprechen, dann wird der so klein mit Hut…»Aber wenn ihm dann doch mal die Hand ausrutsche, dann sei das auch kein Beinbruch hier auf dem Lande. Pädagogik sei ein schwieriges Geschäft! Aber so schwierig nun
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