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Heidelberger Wut

Heidelberger Wut

Titel: Heidelberger Wut
Autoren: Wolgang Burger
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Töchter, sondern nur noch diesen süßen Nebel, der einen jede Vorsicht und Vernunft vergessen lässt. Für eine Weile gab es nur noch zwei Menschen auf der Welt, zwei Körper, vier Hände, Lippen, Wärme, Schnurren, Feuchtigkeit, Stöhnen, Glück.
    Später leerten wir gemeinsam die Sektflasche, die noch von Dienstagabend im Kühlschrank stand. Theresa rauchte, und wir sprachen über Belangloses. Sie zeigte mir ihre neue, kostbare Unterwäsche, die ich in der Eile natürlich nicht gebührend bewundert hatte, warf mir mit sanfter Nachsicht vor, ich hätte schon wieder nicht bemerkt, dass sie beim Frisör war. Teure Unterwäsche und immer wieder neue Frisuren waren ihre Leidenschaften. Andere Frauen sammelten Schuhe, Theresa sündhaft knappe Slips aus kostbaren Materialien und edle Büstenhalter, die mehr präsentierten als verbargen.
     
    Der Elternstammtisch, zu dem ich natürlich ebenfalls zu spät kam, war einer jener Anlässe, bei denen man begreift, wie leicht auch der friedfertigste Mensch zum Amokläufer werden kann. Thema des Abends war ein Französischlehrer, der von der Klasse viel verlangte und entsprechend schlechte Noten verteilte. Noch vor meiner Ankunft hatten sich zwei Fraktionen gebildet. Die eine war der unerschütterlichen Überzeugung, der Mann sei im Recht, Kinder müssten gefordert werden, da sie sonst nie die für den Lebenskampf unverzichtbare Härte entwickelten. Klassenarbeiten konnten gar nicht schwer und die Benotung nicht streng genug sein, solange nur ihre eigenen Kinder ordentliche Zeugnisse heimbrachten.
    Die zweite Partei, zu der auch ich mich zählte, war der Ansicht, mit vierzehn Jahren habe ein Mensch noch das Recht, hin und wieder ein wenig Kind zu sein. Zu träumen, zu spinnen, sich für andere Dinge zu interessieren als unregelmäßige Verben und Karriere.
    Wie erwartet, tobte der Streit ebenso erbittert wie ergebnislos. Ein Kompromiss war schon aus Prinzip nicht möglich, da beide Fraktionen sich im Besitz der Wahrheit wussten, was für sich genommen oft genug Anlass für Mord und Totschlag ist. Und schließlich ging es hier um die Kinder und damit um nichts Geringeres als die Zukunft der Welt.
    Mein vorsichtiges Argument, Jugendliche sollten zwar in der Schule fürs Leben lernen, diese könne das Leben aber nur bedingt ersetzen, ging im allgemeinen Tumult unter. Bald bestellte ich mir einen zweiten Spätburgunder und hielt den Mund.
    Am Ende wusste niemand mehr, was nun eigentlich das Ziel dieser merkwürdigen Veranstaltung gewesen war, und mir brummte der Kopf, weil die Hälfte der Anwesenden im Gefechtseifer tapfer zu rauchen begonnen hatte. Und selbstverständlich war man zu keinem Beschluss gekommen.
    Als ich um halb elf nach Hause kam, lagen meine Zwillinge vor dem Fernseher und guckten einträchtig irgendeine amerikanische Serie, deren Thema einsame Hausfrauen und Sex zu sein schien. Ich setzte mich zu ihnen, stibitzte hin und wieder einen Kartoffelchip aus ihrer Tüte, trank ein Glas Merlot dazu und amüsierte mich zu meiner Überraschung nicht einmal schlecht. Erst als die Sendung zu Ende war, fiel mir auf, dass Sarah etwas mühsam lachte, während Louise und ich uns kugelten, weil wieder einmal ein trotteliger Gatte seine Angetraute zusammen mit seinem besten Freund nackt im Kleiderschrank fand.
    »Was ist?«, fragte ich Sarah, als wir den Fernseher ausschalteten. »Schlechte Laune oder schlechte Noten?«
    »Nichts ist«, erhielt ich zur Antwort. »Bin bloß müde.«
    Doch nicht schon wieder Liebeskummer?
    »Zahnweh hat sie.« Louise erntete einen bitterbösen Blick von ihrer Schwester. »Schon seit ein paar Tagen.«
    »Dann solltest du vielleicht mal zum Zahnarzt gehen«, schlug ich vor. »Ist nicht gut, so was lange mit sich herumzuschleppen. Das kann sogar lebensgefährlich werden.«
    Bei den letzten Worten war meine Stimme leiser geworden. Vera, meine Frau und die Mutter meiner Töchter, war vor nicht einmal zwei Jahren nach einem Zahnarztbesuch wegen eines vereiterten Weisheitszahns völlig überraschend gestorben.
    »Wir haben ja gar keinen Zahnarzt«, schimpfte Sarah. »Unserer ist in Karlsruhe, aber von da mussten wir ja weg. Und außerdem ist es schon viel besser. Heute Morgen war die Backe noch ganz dick! Und jetzt – guck mal.«
    »Stimmt«, bestätigte Louise. »Heute früh war’s noch viel schlimmer.«
    »Das ist mir gar nicht aufgefallen.«
    Sarah warf mir einen wütenden Seitenblick zu und sich selbst eine Handvoll Chips in den Mund. »Wann merkst du
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