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Heidelberger Wut

Heidelberger Wut

Titel: Heidelberger Wut
Autoren: Wolgang Burger
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ungewöhnlich dämlich angestellt, aber Melanie hatte sich zu wehren gewusst, und vermutlich wäre alles längst vergessen, hätte nicht ein eifriger Journalist eine Woche später herausgefunden, dass es sich bei dem Möchtegern-Casanova um einen vorbestraften Sexualstraftäter handelte.
    Nun war das Geschrei groß. Der Täter hatte im Alter von neunzehn Jahren wegen eines minder schweren Delikts anderthalb Jahre auf Bewährung bekommen. Melanies Verehrer war dumm, das stand außer Zweifel, und er hatte sich gewiss nicht korrekt verhalten. Aber er hatte definitiv nicht versucht, ihr Gewalt anzutun. Der Mann arbeitete als Hilfskraft in der städtischen Gärtnerei und war dort als langsam, aber zuverlässig und harmlos bekannt. Leider hatte das Thema für bestimmte Menschen jedoch beträchtlichen Sex-Appeal. Unschuldige Mädchen, die von schlimmen Männern bedrängt werden, das verkaufte sich eben immer wieder gut.
    »Vor allem dieser eine Schreiberling …?« Liebekind schob seine schwere Brille in die Stirn und kniff die Augen zu Schlitzen. »Wie hieß er? Eichendorff?«
    Er sah eindeutig noch schlechter als ich, was mir eine kleine, gemeine Befriedigung verschaffte. Seit einem halben Jahr musste auch ich eine Brille tragen, und ich hasste das blöde Ding immer noch.
    »Möricke. Jupp Möricke.«
    Ärgerlich wedelte er mit einem dreispaltigen Zeitungsausschnitt. »Sie möchten es vermutlich nicht lesen?«
    »Danke. Ich kann mir denken, was drinsteht.«
    Wie konnten wir ein solches Monster frei herumlaufen lassen? Was musste noch alles geschehen, bis wir diesen Wüstling endlich in Sicherheitsverwahrung nahmen? Das waren die Fragen, die derzeit in Teilen der Presse, genauer im Kurpfalz-Kurier, eifrig diskutiert wurden.
    Liebekind, ein Zweimeter-Riese mit silbernem Haarkranz auf dem schweren, runden Kopf, knallte den Artikel verächtlich auf einen seiner Papierstapel. »Mir ist zu Ohren gekommen, dieser Herr Möricke versuche, seine Geschichte ans Fernsehen zu verkaufen. Sollte sich ein Sender finden, der darauf einsteigt, dann helfe uns Gott. Und außerdem fängt er anscheinend an, andere ungelöste Fälle auszugraben.«
    »Wir haben Mitte Juni. Die Saure-Gurken-Zeit steht vor der Tür.«
    »Der Mann scheint einen regelrechten Krieg gegen uns anzuzetteln.« Mein Chef zeigte mir einen anderen Zeitungsausschnitt. »Das hier ist von gestern. Hier geht es um diesen Bankraub, der leider Gottes noch immer nicht aufgeklärt ist. Nicht eben ein Ruhmesblatt, Herr Gerlach.«
    Polizeidirektor Doktor Egon Liebekind war dafür bekannt, seine Worte sorgfältig zu wählen. Diese bedeuteten einen Anschiss erster Klasse, das war mir klar. Dringend Zeit, ein paar Punkte zu machen.
    »In der Sache gibt es einen ersten Erfolg. In Südspanien ist gestern ein Geldschein aus der Beute aufgetaucht.«
    »Spanien? Wir hatten doch bisher gar keine Spur in diese Richtung?«
    »Nein, das ist auch völlig neu. Möglicherweise verstecken sich die beiden Täter irgendwo in der Umgebung von Malaga und warten ab, bis sich hier die Aufregung gelegt hat. Die spanischen Kollegen sind bereits alarmiert. Früher oder später dürfte die nächste Banknote auftauchen.«
    Achtsam legte Liebekind seinen überdimensionalen schwarzen Glimmstängel beiseite. Wir kamen noch kurz zu den Themen des Tages. Es waren erfreulich wenige. Abgesehen von dem schon erwähnten Banküberfall, der sich in Eppelheim ereignet hatte, einem westlichen Vorort Heidelbergs jenseits der Autobahn, stand nur der übliche Kleinkram auf meiner Liste. Deshalb beschäftigte sich ein Teil meiner Leute zurzeit damit, ungelöste alte Fälle wieder hervorzukramen und daraufhin zu überprüfen, ob sich eine Wiederaufnahme lohnen könnte.
    Die Kriminaltechnik hatte in den letzten Jahren faszinierende Fortschritte gemacht, und schon mancher Mörder, der sich längst in Sicherheit wiegte und seine Tat vergessen glaubte, hatte eines Morgens sehr verdutzt ins Auge des Gesetzes geblickt, als er die Tür öffnete.
    »Sie blicken dauernd auf die Uhr«, sagte Liebekind, nun schon wieder freundlicher. »Haben Sie noch einen Termin heute?«
    »Elternstammtisch. Die zweitgrößte Katastrophe nach Kindergeburtstag.«
    Er brauchte ja nicht zu wissen, dass ich zuvor noch mit seiner Frau ins Bett steigen würde. Theresa, meine Geliebte. Immer wieder und immer noch fühlte ich diesen heißen Stich im Bauch, wenn ich an sie dachte. Ich konnte nur hoffen, dass Liebekind in diesem Moment keine Veränderung in meinem
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