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Haus der Angst

Haus der Angst

Titel: Haus der Angst
Autoren: Carla Neggers
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und Sebastian hatte keine Verwendung dafür.
    Lucy warf den Rechtsanwalt hinaus. Wenn Redwing nicht einmal sein Mitgefühl bekunden konnte, dann sollte er auch sein verdammtes Haus behalten.
    Einen Monat später kam der Anwalt noch einmal. Diesmal konnte sie das Haus weit unter dem Marktwert erwerben. Sie würde Sebastian damit sogar noch einen Gefallen tun. Seine Großmutter hätte es gerne gesehen, wenn jemand aus der Familie das Haus bekäme. Aber er hatte keine Geschwister, und seine Eltern waren tot. Also war Lucy für ihn die beste Lösung.
    Sie hatte das Angebot akzeptiert. Sie wusste immer noch nicht, warum. Sebastian hatte ihrem Mann einmal das Leben gerettet. Warum jetzt nicht auch ihres?
    In Wahrheit hatte sie nicht einen einzigen überzeugenden Grund vorbringen können. Vielleicht war es der Reiz von Vermont und die Aussicht, ihr eigenes, auf Abenteuertrips spezialisiertes Reisebüro eröffnen zu können; vielleicht war es der Kummer, an dem sie fast erstickte, oder die Angst, ihre Kinder alleine großziehen zu müssen.
    Möglicherweise lag es aber auch an dem Versprechen, das sie Colin kurz vor seinem Tod gegeben hatte. Niemand hatte gewusst, dass sein Herz in einem kritischen Zustand war – bis zu jenem Tag auf dem Tennisplatz. Das Versprechen hatte ganz nach einem dieser „Was-würdest-du-machen-wenn-wir-auf-einer-einsamen-Insel-gefangen-wären“-Gedankenspiele geklungen; nicht nach etwas, das jemals Wirklichkeit werden könnte.
    Dennoch hatte Colin ganz freimütig und ernsthaft darüber geredet. „Wenn mir mal etwas passieren sollte, dann kannst du Sebastian vertrauen. Er ist ein feiner Kerl, Lucy. Er hat mir das Leben gerettet. Er hat meinem Vater das Leben gerettet. Versprich mir, dass du zu ihm gehst, wenn du jemals Hilfe brauchst.“
    Sie hatte es ihm versprochen, und nun war sie in Vermont. Sie hatte nichts mehr von Redwing gehört, geschweige denn gesehen, seitdem sie das Haus seiner Großmutter gekauft hatte. Um die Abwicklung hatte sich einzig und allein sein Anwalt gekümmert. Lucy hatte gehofft, nie mehr in eine so verzweifelte Lage zu geraten, dass sie sich an das Versprechen, das sie Colin gegeben hatte, halten musste. Schließlich war sie intelligent, hatte Mumm und war daran gewöhnt, auf eigenen Füßen zu stehen.
    Warum also wollte sie am nächsten Morgen mit den Kindern nach Wyoming fliegen – in den Bundesstaat, wo Sebastian Redwing lebte?
    „Mama!“
    „Du machst deine Sache großartig. Fahr weiter.“
    Mit einem Finger strich Lucy über die glatte Oberfläche der Pistolenkugel in ihrer Hosentasche. Wahrscheinlich gab es eine ganz einfache Erklärung für das Geschoss und all die anderen Vorfälle. Vielleicht sollte sie sich einfach nur auf den Spaß freuen, den sie in Wyoming haben würde.
    Die Bewohner des Ortes sprachen von Sebastian Redwings Großmutter immer noch als „Witwe Daisy“, und was von ihrer Farm übrig geblieben war, war für sie nach wie vor der „alte Wheaton-Besitz“. Im Laufe der Zeit hatte Lucy alles über Daisy erfahren. Daisy Wheaton hatte sechzig Jahre als Witwe in ihrem gelben Haus am Joshua-Fluss gelebt. Sie war achtundzwanzig Jahre alt, als ihr Mann bei dem Versuch ertrank, einen kleinen Jungen aus dem tobenden Wasserfall in den Hügeln oberhalb ihrer Farm zu retten. Zu Beginn des Frühjahrs hatte die Schneeschmelze den Wasserfall gefährlich anschwellen lassen. Der Junge hatte seinen Hund retten wollen, und Joshua Wheaton den Jungen. Später wurden die Wasserfälle und der kleine Fluss nach ihm benannt. Joshua-Fälle und Joshua-Fluss.
    Daisys und Joshuas einziges Kind, eine Tochter, konnte es kaum erwarten, aus Vermont wegzukommen. Sie zog nach Boston und heiratete, und als sie und ihr Mann bei einem Unfall ums Leben kamen – der andere Autofahrer hatte Fahrerflucht begangen –, hatten sie einen vierzehnjährigen Sohn zurückgelassen. Sebastian war zu Daisy gezogen. Aber auch er war nicht in Vermont geblieben.
    Ein paar tausend Quadratmeter Felder, Wälder und Gärten und das gelbe, verwinkelte, mit Schindeln gedeckte Haus – mehr war nicht von der ursprünglich riesigen Wheaton-Farm übrig geblieben. Daisy hatte ihr Land mit den Jahren Stück für Stück verkauft, an Farmer aus dem Ort und Leute, die auf den Grundstücken ihre Wochenendhäuser bauten. Das Herzstück ihres Besitzes behielt sie jedoch für sich oder denjenigen, der nach ihr kommen würde.
    Man erzählte sich, dass Daisy nie mehr zu den Joshua-Fällen gegangen war, nachdem sie
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