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Harter Schnitt

Harter Schnitt

Titel: Harter Schnitt
Autoren: Karin Slaughter
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bezahlte sie dafür.
    Sie übersah eine gelbe Ampel und fuhr, so schnell sie sich traute, eine nur mäßig belebte Wohnstraße hinunter. Die Straße verengte sich an der Ponce de Leon. Faith kam an einigen Fast-Food-Restaurants und einem Bioladen vorbei. Sie drückte noch ein wenig mehr aufs Gaspedal, schlitterte durch die Kurven und Abzweigungen am Rand des Piedmont Park. Der Blitz einer Überwachungskamera zuckte im Rückspiegel auf, als sie erneut bei einer gelben Ampel durchfuhr. Wegen eines unachtsamen Fußgängers musste sie scharf abbremsen. Noch zwei Lebensmittelläden huschten vorbei, dann kam die letzte Ampel, die zum Glück Grün zeigte.
    Evelyn wohnte noch immer in dem Haus, in dem Faith und ihr älterer Bruder aufgewachsen waren. Das einstöckige Ranchhaus lag in einer Gegend Atlantas mit dem Namen Sherwood Forest, eingebettet zwischen Ansley Park, einem der reichsten Viertel der Stadt, und der Interstate 85, die, abhängig von der herrschenden Windrichtung, beständigen Verkehrslärm bot. Heute blies der Wind genau richtig, und als Faith das Fenster öffnete, um mehr frische Luft ins Auto zu lassen, hörten sie das vertraute Dröhnen, das fast jeden Tag ihrer Kindheit charakterisiert hatte.
    Als lebenslange Einwohnerin von Sherwood Forest hatte Faith einen tiefsitzenden Hass gegen die Männer, die das Viertel geplant hatten. Die Wohnsiedlung war nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelt worden, und die Backsteinhäuser wurden an zurückkehrende Soldaten verkauft, die die billigen Veteranenkredite nutzten. Die Straßenplaner hatten sich das Sherwood-Konzept unverfroren zu eigen gemacht. Nachdem Faith links in die Lionel eingebogen war, kreuzte sie die Friar Tuck, bog rechts in die Robin Hood Road ein, fuhr über die Gabelung an der Lady Marian Lane und kontrollierte die Einfahrt ihres eigenen Hauses an der Ecke Doncaster und Barnesdale, bevor sie schließlich das Haus ihrer Mutter am Little John Trail erreichte.
    Evelyns beiger Chevy Malibu stand mit dem Heck nach hinten im Carport. Wenigstens das war normal. Faith hatte noch nie gesehen, dass ihre Mutter anders auf einen Parkplatz fuhr. Diese Angewohnheit stammte noch aus ihren Tagen in Uniform. Man sorgte immer dafür, dass man sofort abfahrbereit war, wenn ein Anruf kam.
    Faith hatte nicht die Zeit, über die Gewohnheiten ihrer Mutter nachzudenken. Sie rollte in die Einfahrt und parkte ihren Mini Schnauze an Schnauze mit dem Malibu. Ihre Beine schmerzten, als sie ausstieg; in den letzten zwanzig Minuten war jeder Muskel ihres Körpers angespannt gewesen. Aus dem Haus hörte sie laute Musik. Heavy Metal, nicht die gewohnten Beatles ihrer Mutter. Auf dem Weg zur Küchentür legte Faith die Hand auf die Motorhaube des Malibu. Der Motor war kalt. Vielleicht war Evelyn unter der Dusche gewesen, als Faith anrief. Vielleicht hatte sie E-Mail und Handy nicht kontrolliert. Vielleicht hatte sie sich geschnitten. Auf der Tür war ein blutiger Handabdruck.
    Faith stutzte und schaute noch einmal genauer hin.
    Der blutige Abdruck stammte von einer linken Hand und befand sich einen knappen halben Meter über dem Türknauf. Die Tür war zugezogen worden, war jedoch nicht ins Schloss gefallen. Ein Streifen Sonnenlicht fiel auf den Türpfosten, wahrscheinlich vom Fenster über dem Spülbecken.
    Faith konnte nicht begreifen, was sie da sah. Sie hielt ihre eigene Hand über den Abdruck wie ein Kind, das seine Finger auf die ihrer Mutter legt. Evelyns Hand war kleiner. Schlanke Finger. Die Spitze ihres Ringfingers hatte die Tür nicht berührt. Wo der Abdruck hätte sein müssen, klebte ein Blutklumpen.
    Unvermittelt brach die Musik ab. Durch die Stille hörte Faith ein vertrautes gurgelndes Geräusch, das einen Schrei ankündigte. Das Geräusch hallte durch den Carport, sodass Faith im ersten Augenblick dachte, er käme aus ihrem eigenen Mund. Dann ertönte er noch einmal, und Faith drehte sich um, weil sie wusste, dass er von Emma kam.
    Fast jedes andere Haus in Sherwood Forest war abgerissen oder umgebaut worden, nur das Haus der Mitchells sah noch so aus, wie man es damals gebaut hatte. Der Grundriss war einfach: drei Schlafzimmer, ein Wohnzimmer, ein Esszimmer und eine Küche mit einer Tür, die in den offenen Carport führte. An die andere Carport-Seite hatte Bill Mitchell, Faith’ Vater, einen soliden Werkzeugschuppen angebaut– ihr Vater hatte nie etwas halbherzig gemacht–, mit einer Metalltür, die sich verriegeln ließ, und Sicherheitsglas in dem einzigen
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