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Harter Schnitt

Harter Schnitt

Titel: Harter Schnitt
Autoren: Karin Slaughter
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ihr Leben einfacher werden würde. Ihre eigene Rente war noch fast zwanzig Jahre entfernt. Den Mini hatte sie noch drei Jahre lang abzubezahlen, und bis dahin wäre die Garantie längst abgelaufen. Emma würde für mindestens die nächsten sechzehn Jahre Essen und Kleidung erwarten, wenn nicht sogar länger. Und es war nicht mehr so wie damals, als Jeremy noch ein Baby war und Faith ihm nicht zusammenpassende Socken und Secondhand-Kleidung von Garagenverkäufen anziehen konnte. Bei den Babys heute musste alles perfekt passen. Sie brauchten BPA -freie Fläschchen und garantiert organische Apfelsauce von gütigen Amish-Farmern. Falls Jeremy es in das Architektur-Programm an der Georgia Tech schaffte, musste Faith sich auf sechs weitere Jahre Bücherkaufen und Wäschewaschen einstellen. Und am beunruhigendsten war, dass ihr Sohn eine ernsthafte Freundin gefunden hatte. Eine ältere Freundin mit ausladenden Hüften und einer tickenden biologischen Uhr. Faith könnte Großmutter sein, bevor sie fünfunddreißig Jahre alt wurde.
    Eine lästige Hitze breitete sich in ihrem Körper aus, als sie versuchte, diesen letzten Gedanken aus ihrem Kopf zu verdrängen. Beim Fahren kramte sie noch einmal im Inhalt ihrer Handtasche. Der Kaugummi hatte keine große Wirkung gezeigt. Ihr Magen knurrte noch immer. Sie beugte sich vor und tastete im Handschuhfach herum. Nichts. Sie könnte an einer der Imbissbuden anhalten und sich wenigstens eine Cola besorgen, aber sie trug noch ihre Dienstkleidung– eine hellblaue Khakihose und eine blaue Bluse mit der leuchtend gelben Beschriftung GBI auf dem Rücken. Und das war nicht unbedingt ein Viertel der Stadt, wo man sich als Angehöriger der Strafverfolgungsbehörden zu erkennen gab. Die Leute liefen gern vor einem davon, und dann musste man ihnen nachjagen, was nicht unbedingt dazu führte, dass man zu einer vernünftigen Zeit zu Hause war. Außerdem sagte ihr irgendetwas, sie solle zu ihrer Mutter fahren, ja, drängte sie förmlich dazu.
    Faith griff noch einmal zum Handy und wählte Evelyns Nummern. Festnetz, Handy, sogar ihr BlackBerry, das sie eigentlich nur für E-Mails verwendete. Von allen dreien kam die gleiche negative Reaktion. Faith spürte, wie sich ihr Magen zusammenzog, während ihr die schlimmsten Szenarios durch den Kopf gingen. Als Polizistin auf Streife war sie oft zu Vorfällen gerufen worden, bei denen die Nachbarn durch ein weinendes Kind auf ein ernsthaftes Problem aufmerksam geworden waren. Mütter waren in der Badewanne ausgerutscht. Väter hatten sich durch Unachtsamkeit selbst verletzt oder einen Herzstillstand erlitten. Die Babys hatten einfach nur dagelegen und hilflos geweint, bis jemand auf den Gedanken kam, dass etwas nicht stimmen könnte. Es gab nichts Herzzerreißenderes als ein weinendes Baby, das sich nicht trösten ließ.
    Faith ärgerte sich über sich selbst, weil sie diese schrecklichen Bilder überhaupt zuließ. Schon immer war sie eine Meisterin darin gewesen, dauernd das Schlimmste anzunehmen, auch bereits bevor sie Polizistin wurde. Evelyn ging es wahrscheinlich gut. Emmas Zeit für den Mittagsschlaf war etwa halb zwei Uhr. Wahrscheinlich hatte ihre Mutter das Telefon ausgesteckt, damit das Klingeln nicht das Baby weckte. Vielleicht hatte sie einen Nachbarn getroffen, als sie in den Briefkasten schaute, oder sie war nebenan, um der alten Mrs. Levy den Müll hinauszutragen.
    Dennoch rutschten Faith’ Hände auf dem Lenkrad ab, als sie auf den Boulevard fuhr. Sie schwitzte trotz des milden Märzwetters. Hier ging es nicht nur um das Baby oder ihre Mutter oder um Jeremys so skrupellos fruchtbare Freundin. Vor weniger als einem Jahr hatte man bei Faith Diabetes diagnostiziert. Sie war äußerst gewissenhaft, wenn es darum ging, den Blutzucker zu messen, das Richtige zu essen und immer einen Snack bei der Hand zu haben. Wahrscheinlich erklärte das, warum ihre Gedanken so aus dem Ruder gelaufen waren. Sie brauchte einfach etwas zu essen. Vorzugsweise gemeinsam mit ihrer Mutter und ihrem Kind.
    Faith kramte noch einmal im Handschuhfach, um ganz sicherzugehen, dass es wirklich leer war. Dunkel erinnerte sie sich daran, dass sie Will gestern ihren letzten Energieriegel gegeben hatte, während sie vor dem Gerichtsgebäude warteten. Es hieß, entweder das oder mit ansehen zu müssen, wie er sich einen klebrigen Donut aus dem Verkaufsautomaten einverleibte. Er hatte sich über den Geschmack beschwert, aber trotzdem den ganzen Riegel gegessen. Und jetzt
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