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Hahnemanns Frau

Titel: Hahnemanns Frau
Autoren: Bauer Angeline
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spürte ihr Sitzfleisch und war froh, sich endlich strecken zu können.
    »Au revoir«, sagte das Mädchen leise und verschwand in der Dunkelheit.
    »Au revoir.« Mélanie sah ihr nach. Am Zaun stand ein Mann, der sie erwartete und hinter ihr herging, ohne ein Wort mit ihr zu wechseln oder ihr zumindest den Korb aus den verkrüppelten Händen zu nehmen.
    »Danke, Monsieur.«
    Mélanie drehte sich um und sah Sabine ins Gesicht. »Wofür?« fragte sie.
    »Für Ihre Hilfe.« Die Frauen sahen sich in die Augen.
    »Sie brauchen sich nicht zu bedanken. Wenn ich Ihnen wirklich einmal helfen kann, lassen Sie es mich wissen.«
    Sabine nickte. »Und wohin reisen Sie?«
    »Nach Köthen, eine Stadt in Deutschland, in der Nähe von Leipzig. Etwa fünfzehn Tagesreisen von Paris entfernt.«
    »Ich habe nie davon gehört, das heißt von Leipzig natürlich schon. Wir reisen nach Frankfurt. Eine Erbschaftsangelegenheit …«
    »Sabine! Nun komm doch endlich!« Die Stimme Delacroix' klang schneidend.
    Die junge Frau zuckte zusammen. »Entschuldigen Sie, Monsieur.« Sie ging zu ihrem Mann, der ungeduldig mit seinem Gehstock auf die Handfläche schlug.
    Mélanie atmete tief durch. Es war eine kalte, klare Nacht. Aus der Schenke, die zur Poststation gehörte, drangen Gelächter und Musik. Jemand spielte auf einer Flöte, und ein anderer sang dazu.
    Mélanie hatte Hunger und Durst, aber sie wollte nicht in die Gaststube gehen. Ein Junge kam aus der Poststation, um sich um ihr Gepäck zu kümmern. Er schulterte einen der Koffer und ging voraus. Sie folgte ihm, wurde in ein kleines, sauberes Zimmer gebracht. Dort gab es einen Kamin, in dem ein wärmendes Feuer brannte.
    »Kannst du dafür sorgen, daß man mir ein Glas Wein und ein warmes Essen heraufbringt?« Sie steckte dem Jungen eine Münze zu.
    »Oui, Monsieur, sofort!« Der Junge ließ die Münze in der Hosentasche verschwinden und nickte eifrig, dann zog er die Tür hinter sich zu.
    Mélanie zog die Schuhe aus und legte sich seufzend aufs Bett. Sie hatte wieder diese Schmerzen in der rechten Unterbauchseite, die Dr. Doyen als Nervenstörungen abtat und durch Ansetzen von Blutegeln heilen wollte, aber Mélanie war weder hysterisch, noch glaubte sie, daß sich durch Aussaugen von Blut etwas an ihrem gesundheitlichen Zustand verändern würde. Zu viele ihrer Freunde waren an ihren Krankheiten gestorben, als daß sie noch an die Methoden der Ärzte glauben und ihnen vertrauen könnte. Jetzt galt ihre ganze Hoffnung dem Mann, zu dem sie reiste. Nein, dieser Dr. Hahnemann, dessen Bücher sie aufmerksam studiert hatte, war keineswegs ein Scharlatan! Sie war überzeugt, wenn überhaupt einer ihr helfen konnte, dann war er es.
    Es klopfte, eine Magd brachte das Essen. Als sie gegangen war, zog Mélanie sich aus, hängte den Gehrock und die Westen über den Stuhl. Dann wickelte sie die Binden ab, mit denen sie ihre Brüste schnürte, und streckte sich.
    Draußen knallte eine Peitsche; Rufe waren zu hören. Es schien noch eine zweite Postkutsche angekommen zu sein. Sie ging zum Fenster und sah hinunter in den Kutschhof. Vier Braune wurden ausgespannt und in den Stall gebracht, die Kutsche abgeladen.
    Es kam ihr vor, als sei sie schon eine Ewigkeit unterwegs – dabei war sie doch erst eine Tagesreise von Paris entfernt.

Tod einer Freundin
    Seit ihrem letzten Halt reisten sie zu sechst. Ein alter Mann und sein zahnloses Weib saßen Mélanie gegenüber. Die beiden stanken nach Alkohol, Knoblauch, Schweiß und Urin. Dieser Gestank war geradezu bestialisch! Immer wieder mußte sie gegen Übelkeit und ein Würgen im Magen ankämpfen, und auch Sabine hielt sich angewidert ein Taschentuch vor Mund und Nase. Delacroix und Henry Michelon – er war der sechste Fahrgast und gab an, nach Erfurt zu reisen – starrten schweigend vor sich hin.
    Mélanie betrachtete besorgt das blasse Gesicht Sabines. Sie waren nun fast eine Woche unterwegs, und von Stunde zu Stunde verschlechterte sich der gesundheitliche Zustand der jungen Frau. Ihre eigenen Unterleibsschmerzen, ein Gefühl, als würde ihr jemand, plötzlich und ohne Vorwarnung, mit eiserner Faust an den Eingeweiden zerren, traten über die Sorgen um Madame Delacroix in den Hintergrund.
    Als die Kutsche auf eine Anhöhe gelangte, tat sich vor ihnen ein tiefes Tal auf, das von einer steinernen Brücke überspannt war, und hinter dieser Brücke erhoben sich die Mauern der Stadt, in der sie diese Nacht verbringen würden – Luxembourg. Doch es dauerte
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