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Grundwache

Grundwache

Titel: Grundwache
Autoren: Laurent Bach
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durch seinen Mund ein und aus. Die nächsten Worte schienen ihm schwer zu fallen, er setzte ein paar Mal an, dann spuckte sie aus:
    „Bitte, mach du das. Du kannst das, ich bringe es einfach nicht fertig.“
    Diese Bitte kam überraschend. Übelkeit stieg in Alexej auf. Er wehrte sich.
    „Ich bin doch nicht der Henker vom Dienst, Kolja. Ich bin schwul, schon vergessen? Du willst doch wohl nicht durch die Hand eines Schwulen sterben, oder?“
    Eindringlich schaute er den Bootsmann an. Er spürte keine Angst vor ihm und er konnte sich plötzlich nicht mehr vorstellen, warum er sich noch vor einigen Tagen vor ihm gefürchtet hatte. Ob diese Tragödie eine Wandlung in ihm ausgelöst hatte? Vorsichtig und auf der Hut war er gewesen, fast feige, während er sich nun an der seltsamen Macht berauschte, die der Tod in seine Hand gelegt hatte. Ob das ein feiner Zug war? Wohl eher nicht. Doch er konnte es nicht ändern.
    „Warum magst du keine Schwulen?“
    Kolja zuckte die Schultern und rang nach Luft. „Ich weiß nicht. Die sind eben komisch.“
    „Bin ich etwa komisch?“
    „Nein“, gab Kolja zu.
    So sanft und nachgiebig hatte er den Bootsmann noch nie erlebt. Er sagte sogar:
    „Es tut mir leid. Bitte, verzeih mir. “
    Alexej staunte. Ob die Reue echt war?
    Plötzlich begann der Bootsmann zu wimmern und sein verzweifelter Blick schnitt Alexej ins Herz.
    „ Bitte hilf mir! Die Luft, sie wird immer dünner, ich kriege keine Luft mehr.“
    In einer plötzlichen Panik richtete Kolja sich auf und planschte hilflos im Wasser herum, als suche er einen Ausweg. Sein Mund war weit geöffnet.
    „Du musst ruhig bleiben und den Oberkörper nach vorn beugen. Wenn du sitzen könntest, meine ich.“
    Kolja schluchzte. „Ich weiß. Geht hier nicht.“ Er hielt sich an Alexej fest.
    „Bitte!“
    Rote Äderchen durchzogen seine Augen, Speichel lief an seinem Kinn herunter.
    „Lass uns sterben wie Männer, Alexej. Bitte hilf mir.“
    Alexej verdrehte die Augen. Männer - was sind schon Männer? Als ob Kolja die Weisheit mit Löffeln gefressen hätte.
    „Du meinst, in Würde sterben.“
    Kolja nickte und fixierte ihn mit flehenden Blicken. Sein Atem ging kurz und heftig, doch Alexej ging es nicht besser.
    „Gib her“, sagte er endlich und streckte seine Hand aus. Sofort legte Kolja das Messer hinein. Das Heft war glatt und kühl, es lag gut in der Hand. Es kam nun nicht mehr darauf an. Niemand würde ihn verurteilen oder richten.
    Kolja presste seinen Arm fest an die Wand, damit er nicht wegrutschte.
    „Jetzt! Ich will einschlafen. Nur nicht ersticken, nein.“
    Doch Alexej setzte die Waffe an seinen Brustkorb, starrte in die plötzlich erschrockenen Augen des Bootsmannes und stach zu, so wie er es in der Nahkampfausbildung gelernt hatte. Die Klinge drang zwischen zwei Rippen direkt ins Herz ein.
    „Geht schneller so, Kolja. Bis gleich.“
    Kol ja nickte und starrte ihn an, erstaunt, fast ehrfürchtig. Nach wenigen Sekunden stöhnte er auf und das Leben wich von ihm. Alexej  hielt den Körper fest und wartete, ob Kolja noch irgendein Zeichen der Erleichterung oder Entspannung von sich gab. Er horchte auf das kleinste Geräusch, doch nur das Glucksen des Wassers und hin und wieder ein Knarren und Knirschen war zu hören. Koljas Blick war immer noch staunend, seine Augen aufgerissen. Er war ohne Schmerzen und schnell gestorben. Alexej seufzte. Diesmal blieben die Tränen aus. Er schob Kolja unter das Wasser, in die Richtung, in der auch Andrej und Wladimir liegen mussten. Nun war er allein mit sich und seinem Gewissen. Seine Gedanken waren immer noch so berauschend. Für niemanden dort draußen würde es einen Unterschied machen, wie Kolja und Vitali gestorben waren. Tot ist tot. Man würde sie bergen und beerdigen. Doch er hatte wenigstens versucht, die beiden nicht länger als nötig leiden zu lassen.
    Vitali, dieser Schweinehund. Alexej hätte gern noch eine Weile gelebt. Zur falschen Zeit am falschen Ort, so sagte man wohl. Er schaute sich um. Gut eine Stunde waren sie jetzt in der siebten Abteilung eingeschlossen gewesen. In zwei Tagen würde vielleicht ein Bergungsschiff eintreffen. Er schnaufte, fast belustigt. Das Wasser stand ihm fast bis zum Hals, viel war nicht mehr zu sehen, selbst die Taschenlampe hatte plötzlich kurze Aussetzer. Alles war zur rechten Zeit geschehen. Er konnte jetzt noch warten, bis die Dunkelheit an ihm klebte. Bis das Wasser weitere zwei Fuß gestiegen war und damit den letzten Winkel des Raumes
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