Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Großstadt-Dschungel

Großstadt-Dschungel

Titel: Großstadt-Dschungel
Autoren: Sarah Mlynowski
Vom Netzwerk:
Gesicht. „Es ist nur so, dass ich gerade eine Doppelpunkt- und Semikolonkrise habe, die mir sehr nahe geht. Ich komme gerade einfach nicht weiter mit meinem Text.“
    „Wirklich?“ Sie lässt den Blick zwischen Telefon und Computer schweifen und weiß offensichtlich nicht, ob sie mir glauben soll. „Na, vielleicht kann ich dir helfen. Schließlich war ich ja auch Korrektorin, bevor man mich zur Lektoratsassistentin beförderte. Ich könnte für heute Nachmittag ein Meeting zum Thema ‚Doppelpunkt und Semikolon‘ anberaumen. Wenn es dir ernst damit ist.“
    „Natürlich ist es mir ernst.“ Ich finde es wirklich erstaunlich, dass solche Leute wie Helen überhaupt existieren. Wissen Trottel, dass sie Trottel sind? Wacht Helen morgens auf, schaut in den Spiegel und denkt: „Mann, bin ich blöd!“? Wahrscheinlich nicht. Bedeutet das, dass ich auch völlig bescheuert bin und es bloß nicht weiß? Denken dumme Leute in Wirklichkeit, dass sie klug sind? Sehen hässliche Menschen in den Spiegel und halten sich für Cindy Crawford? Besteht die Möglichkeit, dass ich gar nicht so süß und witzig bin, wie ich immer annehme? Will Jeremy mich deshalb nicht? Bin ich vielleicht in Wirklichkeit eine bescheuerte, hässliche Vollidiotin?
    Helen klopft mit ihrem Kugelschreiber gegen die Trennwand, ein sicheres Zeichen dafür, dass sie beschlossen hat, mir zu glauben. „Okay. Weil andere Kollegen dieses Thema ebenfalls angesprochen haben, werde ich ein Treffen dazu einberufen.“ Mittlerweile haben sich ihre Wangen vor Erregung gerötet. Interpunktion ist für Helen eine Art Vorspiel. „Würde es dir heute Nachmittag um 15:45 Uhr passen?“
    Und ob. „Klingt fantastisch.“
    „Exzellent. Dann schicke ich an alle meine Korrektoren eine Gruppen-E-Mail.“ Sie verschwindet hinter der Trennwand. Als ob sie nicht einfach über den Flur zu Julie gehen könnte. Die einzigen Korrektoren, die an Helens Serie „Wahre Liebe“ arbeiten, sind Julie und ich. Außerdem stinkt mir der Begriff „meine Korrektoren“. Wir gehören ihr schließlich nicht. Shauna ist die Koordinatorin der Korrektoren. Shauna schreibt unsere Kritiken. Helens Serie ist nur eine von vielen, die wir bearbeiten.
    „Entschuldigung“, erklingt jetzt wieder Wendys Stimme am Telefon. „Okay, jetzt lese ich seine E-Mail. Blablabla … ‚Heute habe ich wieder eine E … geschmissen.‘ Warum vergeudest du deine Zeit mit diesem Drogenfreak? … ‚Irgendwer hat mein grünes T-Shirt vom Balkon geklaut.‘ … Gott, was für ein Trottel! … ‚Ich habe ein klasse Mädchen kennen gelernt, mit dem ich seit einem Monat zusammen reise‘ … Meinst du diese Stelle?“
    „Nein, du hast den Rest nicht gelesen, wo er schreibt: ‚Ich dachte, es würde dich vielleicht interessieren.‘“
    „‚Ich dachte, es würde dich vielleicht interessieren. Pass auf dich auf ‚Jer‘ … Soll das ein Scherz sein? Irgendeine Art schräger Humor?“
    „Leider nein.“ Moment mal! Vielleicht ist es wirklich nur ein Scherz! Oder ein neuer Computervirus ist in die Mail eingedrungen und hat den Wortlaut verändert!
    „Und du hockst seit zwei Monaten jedes Wochenende zu Hause, während er die Weiber aufreißt? Das ist einfach lächerlich. Ist dir überhaupt bewusst, dass du keinen einzigen Mann kennen gelernt hast, seit du nach Boston gezogen bist?“
    Manchmal ist Wendy wirklich nicht sehr sensibel. „Natürlich habe ich ein paar Typen kennen gelernt. Ich war bloß nicht mit ihnen aus.“
    „Du warst Mitleid erregend.“
    Wendy hat Recht. Ich habe mich sogar geweigert, mit einem fantastisch aussehenden Mann auszugehen, den Natalie mir vorgestellt hat, weil ich befürchtete, dass Jer davon erfahren könnte, so dass er, um sich an mir zu rächen, mit einer anderen anbandeln würde. Und außerdem wollte ich für den Fall zu Hause sein, dass er anrief. Es wäre sowieso unmöglich, einen Mann zu mir einzuladen – mein Zimmer ist ein Schrein, ausgestattet mit Fotos von Jer: Jer und ich im Park, Jer und ich bei offiziellen Anlässen, Jers Abschlussfeier und noch mehr Fotos von Jer, Jer, Jer. Es war mir gar nicht in den Sinn gekommen, dass nicht auch unser Foto neben seinem Schlafsack stand. Es ist wohl an der Zeit, eine Fotobox zu kaufen und die Bilder wegzusortieren.
    Mitleid erregend.
    Hm. Moment mal. „Ob es möglich ist, dass er „kennen lernen“ platonisch meint?“
    Pause. „Nein.“
    Seufz. Stimmt, das klang selbst in meinen Ohren regelrecht albern.
    Mitleid erregend.
    „Du
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher