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Grischa, Band 2: Eisige Wellen (German Edition)

Grischa, Band 2: Eisige Wellen (German Edition)

Titel: Grischa, Band 2: Eisige Wellen (German Edition)
Autoren: Leigh Bardugo
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Kinnlade herunter. »Wie bitte?«
    »Na ja – ich musste ihm doch erklären, warum du immer an diesem Schal rumfummelst.«
    Ich ließ die Hand sinken. Ich hatte schon wieder unbewusst an meinen Schal gefasst.
    »Und deshalb hast du ihm erzählt, ich hätte einen Kropf?«, flüsterte ich fassungslos.
    »Ich musste mir irgendetwas ausdenken. Außerdem verleiht es dir etwas Tragisches … Hübsches Mädchen mit riesiger Geschwulst – na, du weißt schon.«
    Ich schlug ihn gegen den Arm.
    »Autsch! Es gibt Länder, da ist ein Kropf sehr beliebt, weißt du?«
    »Gibt es auch Länder, in denen Eunuchen sehr beliebt sind? Ich könnte dich nämlich problemlos in einen verwandeln.«
    »Mann, bist du blutrünstig!«
    »Mein Kropf treibt mich in den Wahnsinn.«
    Maljen lachte, aber ich sah, dass seine Hand immer auf der Pistole lag. Das Loch befand sich in einer ziemlich üblen Gegend von Kofton, und wir hatten viel Münzgeld dabei – unseren gesamten Lohn, den wir gespart hatten, um ein neues Leben beginnen zu können. Nur noch ein paar Tage, dann hätten wir genug beisammen, um Kofton hinter uns zu lassen, den Krach, die von Blütenstaub erfüllte Luft; und die Angst, die uns ständig im Nacken saß. Dann wären wir an einem Ort in Sicherheit, wo es niemanden interessierte, was in Rawka geschah. Wir wären an einem Ort, wo es keine Grischa gab und wo man nie etwas von einer Sonnenkriegerin gehört hatte.
    Und wo niemand eine braucht . Dieser Gedanke hob meine Laune nicht gerade, war mir in letzter Zeit aber immer wieder durch den Kopf gegangen. In diesem fremden Land war ich zu nichts nütze. Maljen konnte jagen, Fährten lesen und er war ein guter Schütze. Meine einzige Gabe bestand darin, eine Grischa zu sein. Ich vermisste es, das Licht aufzurufen, und mit jedem Tag, an dem ich meine Macht ungenutzt ließ, wurde ich schwächer und kränklicher. Ich war schon aus der Puste, wenn ich neben Maljen herlief, und die Tasche war fast zu schwer für mich. Wenn ich die Jurda -Blumen in der Scheune verpackte, stellte ich mich so lahm und ungeschickt an, dass ich ständig kurz davor war, meine Arbeit zu verlieren. Der Lohn war schlecht, ich hatte jedoch arbeiten wollen, um wenigstens irgendetwas zu tun. Ich hatte das Gefühl, in meine Kindheit zurückversetzt worden zu sein: Maljen, der Alleskönner, und Alina, die zu nichts zu gebrauchen war.
    Ich verdrängte diesen Gedanken. Gut möglich, dass ich nicht mehr die Sonnenkriegerin war, aber das traurige Mädchen von damals war ich auch nicht mehr. Ich würde schon eine Möglichkeit finden, etwas zu unserem neuen Leben beizutragen.
    Der Anblick unserer Herberge stimmte mich nicht heiterer. Sie war dreistöckig und brauchte dringend mal einen neuen Anstrich. Das Schild im Fenster warb in fünf Sprachen mit heißen Bädern und ungezieferfreien Betten. Nachdem ich Bett und Bad ausprobiert hatte, wusste ich, dass das Schild fünfsprachig log. Aber da Maljen bei mir war, fand ich es nicht ganz so schlimm.
    Wir erklommen die Stufen der wackeligen Veranda und betraten die Schenke, die den größten Teil des Erdgeschosses einnahm. Nach dem Lärm und dem Staub der Straße empfand ich sie als kühl und still. Zu dieser Stunde saßen meist einige Arbeiter an den zerkratzten Tischen und versoffen ihren Tageslohn, aber heute war der Gastraum leer bis auf den mürrisch dreinschauenden Wirt, der hinter der Theke stand.
    Er war ein eingewanderter Kerch und ich hatte das sichere Gefühl, dass er Leute aus Rawka nicht ausstehen konnte. Vielleicht hielt er uns auch für Halunken. Wir waren vor zwei Wochen angekommen, dreckig, abgerissen und ohne Gepäck, und hatten mit einer goldenen Haarnadel bezahlt, die er bestimmt für Diebesgut gehalten hatte. Was ihn aber nicht davon abgehalten hatte, sich die Nadel zu schnappen und uns im Gegenzug ein schmales Bett in einem Zimmer zu geben, das wir uns mit sechs anderen Gästen teilen mussten.
    Wir hatten ihn noch nicht ganz erreicht, da knallte er schon den Schlüssel auf den Tresen und schob ihn ungefragt zu uns hin. Der Schlüssel hing an einem geschnitzten Hühnerknochen. Noch so ein elegantes Detail.
    Maljen bat in dem altmodischen Kerch, das er auf der Verrhader aufgeschnappt hatte, um eine Schüssel mit heißem Wasser, damit wir uns waschen konnten.
    »Kostet extra«, brummte der Wirt, ein untersetzter Kerl mit schütteren Haaren und Zähnen, die gelb waren vom Jurda -Kauen. Mir fiel auf, dass er schwitzte. Obwohl es nicht besonders warm war,
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