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Grischa, Band 2: Eisige Wellen (German Edition)

Grischa, Band 2: Eisige Wellen (German Edition)

Titel: Grischa, Band 2: Eisige Wellen (German Edition)
Autoren: Leigh Bardugo
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Wahl. Denn die Entherzer, die Lieblingssoldaten des Dunklen, konnten mein Herz zum Stillstand bringen oder meine Lunge zerquetschen, ohne mich auch nur zu berühren.
    Nachdem ich eine Weile gewartet hatte, die feuchte Hand fest um den Dolchgriff geschlossen, warf ich einen Blick um die Ecke. Ich erblickte einen mit Fässern beladenen Karren. Der Kutscher hatte die Pferde gezügelt und sprach mit einer Frau, deren Tochter ungeduldig auf und ab sprang und ihren dunkelroten Rock flattern ließ.
    Keine Korporalki. Sondern nur ein kleines Mädchen. Ich sank gegen die Mauer, holte tief Luft und versuchte mich wieder zu beruhigen.
    So wird es nicht für immer sein , rief ich mir in Erinnerung. Je länger du in Freiheit bist, desto unbeschwerter wirst du dich fühlen .
    Eines Tages würde ich aus einem Schlaf erwachen, in dem mich keine Albträume geplagt hatten, und ohne Angst durch die Straßen gehen. Doch bis dahin würde ich meinen Dolch immer bei mir tragen und mich auf das Gewicht des Grischa-Stahls in meiner Hand verlassen.
    Ich trat wieder auf die belebte Straße und schlang den Schal enger um meinen Hals. Das war inzwischen eine Marotte von mir. Unter dem Schal verbarg sich Morozows Reif, der mächtigste Kräftemehrer aller Zeiten, an dem man mich sofort erkannt hätte. Ohne diesen Reif wäre ich nur einer von vielen abgemagerten, verlotterten Flüchtlingen aus Rawka gewesen.
    Aber was sollte ich tun, wenn sich das Wetter besserte? Im Sommer konnte ich wohl kaum Wollschals oder Mäntel mit hochgeklapptem Kragen tragen. Andererseits wären Maljen und ich im Sommer hoffentlich schon weit weg von den überlaufenen Städten und neugierigen Blicken. Dann wären wir endlich allein. Dieser Gedanke rief einen nervösen Schauder in mir hervor.
    Ich überquerte die Straße, wich Kutschen und Pferden aus, ließ meinen Blick wachsam über die Menschen gleiten, weil ich erwartete, dass jeden Moment Opritschki oder Grischa über mich herfallen würden. Oder Söldner der Shu-Han oder Meuchelmörder der Fjerdan, vielleicht auch Soldaten des Zaren von Rawka oder gar der Dunkle selbst. Sie alle konnten uns gerade jagen. Mich jagen , korrigierte ich, denn ohne mich wäre Maljen immer noch ein Fährtensucher in der Ersten Armee und kein Fahnenflüchtiger, der sich seines Lebens nicht mehr sicher sein konnte.
    Ich hatte plötzlich ein Bild aus der Vergangenheit vor Augen: schwarzes Haar, schiefergraue Augen, das strahlende, triumphierende Gesicht des Dunklen, während er die Macht der Schattenflur entfesselte. Bevor ich ihm den Sieg entrissen hatte.
    In Nowij Sem erfuhr man mühelos Neuigkeiten, nur leider gab es keine guten. Laut einem kürzlich aufgekommenen Gerücht hatte der Dunkle das Gefecht in der Schattenflur überlebt und sammelte nun im Verborgenen seine Kräfte für einen nochmaligen Versuch, nach Rawkas Thron zu greifen. Das klang sehr unglaubwürdig, aber ich wusste natürlich, dass es ein schwerer Fehler gewesen wäre, den Dunklen zu unterschätzen. Die anderen Geschichten, die uns zu Ohren kamen, waren ebenso beunruhigend: Angeblich breitete sich die Schattenflur seit einiger Zeit immer weiter nach Osten und Westen aus und trieb Flüchtlinge vor sich her; angeblich gab es einen neuen Kult um eine Heilige, die das Licht der Sonne beschwören konnte. Ich verdrängte den Gedanken daran. Maljen und ich führten ein neues Leben. Wir hatten Rawka hinter uns gelassen.
    Ich beschleunigte meine Schritte und erreichte bald den Platz, wo ich mich jeden Abend mit Maljen traf. Er war schon da, lehnte am Rand des Brunnens und unterhielt sich mit einem semenischen Freund, den er bei der Arbeit im Lagerhaus kennengelernt hatte. Der Name war mir gerade entfallen. Hieß er Jep? Oder Jef?
    Der von vier großen Wasserspeiern gespeiste Brunnen war prächtig, vor allem jedoch praktisch, denn in seinem Becken wuschen Mädchen und Dienerinnen die Wäsche, und alle verschlangen Maljen mit Blicken. Wie sollte es auch anders sein? Seine Haare, früher militärisch kurz, waren so lang, dass sie sich in seinem Nacken ringelten. Sein Hemd, feucht vom Sprühwasser des Brunnens, klebte am Oberkörper, und nach den vielen Tagen auf See war er braun gebrannt. Er warf den Kopf zurück, lachte über die Worte seines Freundes und tat so, als würde er die Frauen, die ihn verlockend anlächelten, nicht wahrnehmen.
    Wahrscheinlich kennt er das so gut, dass er es gar nicht mehr bemerkt , dachte ich bedrückt.
    Bei meinem Anblick strahlte er und winkte mir. Die
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