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Grave Mercy Die Novizin des Todes

Grave Mercy Die Novizin des Todes

Titel: Grave Mercy Die Novizin des Todes
Autoren: LaFevers Robin L
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mich vergiftet zu haben, dass ich nur schweigen kann. Und ich erinnere mich an das warme Schwindelgefühl, dass ich gerade gespürt hatte.
    »Jetzt komm.« Die Äbtissin steht auf, geht zur Tür und öffnet sie. »Annith wird sich um dich kümmern. Willkommen im Kloster.«

D rei
    ALS ICH AUS DEM Büro der ehrwürdigen Mutter trete, erwartet mich ein Mädchen, das nur geringfügig jünger ist als ich. Genau wie die Äbtissin ist Annith auffallend schön, mit Augen von der Farbe des sich stets wandelnden Meeres und feinem hellem Haar, das unter ihrem Schleier hervorlugt. Neben ihr fühle ich mich schäbig und zerlumpt, als sei meine bloße Anwesenheit ein Sakrileg in einem Kloster voller Schönheit. Aber sie lächelt mich an und hakt mich unter, als seien wir von Geburt an Freundinnen gewesen. »Ich bin Annith«, sagt sie. »Bringen wir dich in die Krankenstube.«
    So gern ich sie begleiten möchte, so gern ich dieses neue Leben, dass mir angeboten wird, willkommen heißen möchte, zögere ich doch. Zuerst muss ich etwas verstehen. »Warte.«
    Annith legt den Kopf schräg. »Was?«
    »Wenn ich die erste Prüfung nicht bestanden hätte, hätte sie mich an dem Gift sterben lassen?« Ein Frösteln überläuft meine Schultern bei dem Gedanken, wie nahe ich daran gewesen war, dem Tod ins Auge zu sehen.
    In Annith’ Zügen breitet sich Begreifen aus. »Aber nein! Die Äbtissin hätte einen Bezoarstein geholt, um das Gift zu neutralisieren, oder sich eine Tinktur aus Amaranth bringen lassen, um dich wiederzubeleben. Jetzt komm.« Sie zieht sanft an meinem Arm, und sie wirkt so sicher und beruhigend, dass es meine letzten Zweifel verscheucht.
    Unsere Schritte hallen leicht in dem steinernen Flur wider, den Annith mich entlangführt. Türen säumen die Wände links und rechts von uns, und ich frage mich, welche Geheimnisse diese Räume bergen und wie bald es mir gestattet sein wird, mehr darüber zu erfahren.
    Annith bleibt stehen, als wir einen lang gestreckten Raum mit sauberen weißen Wänden und einer Reihe Betten erreichen. Frische Luft strömt durchs Fenster, und ich höre das Geräusch der Wellen, die sich auf dem felsigen Ufer jenseits der Klostermauern brechen. Eine Nonne in einem mitternachtsblauen Habit hantiert an einem Tisch mit Mörser und Stößel. Bei unserem Erscheinen legt sie ihr Werkzeug bedächtig beiseite, bevor sie sich umdreht, um uns zu begrüßen.
    Sie ist in mittleren Jahren, und ihr schwarzer Schleier schmeichelt ihrer olivenfarbenen Haut ganz und gar nicht. Er passt jedoch zu dem zarten Schnurrbart auf ihrer Oberlippe. Ich bin sehr erleichtert, dass sie nicht so schön ist wie die anderen. Zumindest werde ich hier nicht die Hässlichste sein.
    »Die ehrwürdige Mutter schickt eine neue Patientin?« Ihr eifriger Tonfall erscheint mir unschicklich.
    »Ja, Schwester Serafina«, antwortet Annith. »Sie ist übel verprügelt worden und hat viele blaue Flecken, möglicherweise gebrochene Rippen und Verletzungen der inneren Organe.«
    Ich sehe Annith mit neuem Respekt an. Woher weiß sie das? Hat sie an der Tür gelauscht? Als ich ihr frisches, zartes Gesicht betrachte, fällt es mir schwer, mir vorzustellen, dass sie etwas so Schändliches tun würde.
    Die Nonne wischt sich die Hände an einem Leintuch ab und geht zu einem schlichten hölzernen Schrank, um eine Glasflasche herauszuholen. Die Flasche ist nicht so formschön oder kunstvoll wie der Kristallkelch, aber sie sieht genauso zerbrechlich aus. Trotzdem drückt die Nonne sie mir in die Hände und deutet auf einen hölzernen Wandschirm in der Ecke des Raums. »Zieh dich dorthin zurück, wenn du so freundlich sein willst.«
    Ich starre die Flasche verständnislos an. Die Nonne sieht zu Annith hinüber. »Denkst du, ihr Gehör wurde ebenfalls beschädigt?«
    »Nein, Schwester.« Annith’ Gesicht ist ernst, der Inbegriff pflichtschuldigen Respekts, und doch bin ich mir sicher, dass ich einen Anflug von Erheiterung spüren kann, die sie zu unterdrücken versucht.
    Schwester Serafina dreht sich wieder zu mir um. »Pissen«, sagt sie, ein wenig lauter als notwendig, für den Fall, dass Annith sich in Bezug auf mein Gehör irrt. »Du musst in die Flasche pissen, damit ich erkennen kann, ob du irgendwelche inneren Verletzungen hast.«
    Ich fühle mich zutiefst gedemütigt angesichts dieser Forderung, aber Annith versetzt mir einen ermutigenden Stoß. Schließlich eile ich zu dem ungestörten Plätzchen hinter dem Wandschirm und finde einen Nachttopf vor.
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