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Gottesstreiter

Titel: Gottesstreiter
Autoren: dtv
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Heilig-Kreuz-Kirche.
     Seine Verfolger waren sehr schlau, sie fielen nicht auf und verbargen sich geschickt. Aber Reynevan hatte sie dennoch bemerkt.
     Denn dies war nicht das erste Mal.
    Er wusste im Grunde, wer seine Verfolger waren und in wessen Auftrag sie arbeiteten. Aber das war von geringer Bedeutung.
    Er musste sie loswerden. Und er hatte auch schon einen Plan.
     
    Er kam zum gut besuchten, lauten, stinkenden Viehmarkt, mischte sich unter die Menge, die sich zur Moldau und zur Steinernen
     Brücke hinbewegte. Er wollte verschwinden, und auf der Brücke, jenem schmalen Durchlass, der die Altstadt mit der Kleinseite
     und dem Hradschin verband, im Gewirr und Getöse, war die Gelegenheit zu verschwinden günstig. Reynevan drängte sich durch
     die Menschenmenge, rempelte die an ihm Vorbeigehenden an und erntete Flüche.
    »Reinmar!« Einer der Angerempelten grüßte ihn mit seinem Taufnamen, statt ihn wie die anderen einen Hurensohn zu nennen. »Bei
     Gott! Du hier?«
    »Ja, ich hier. Hör zu, Radim   ... Jesses, was stinkt denn hier so entsetzlich?«
    »Das   ...« Radim Tvrdik, ein untersetzter und nicht mehr |15| ganz junger Mann, wies auf den Eimer, den er schleppte. »Das ist Ton und Schlamm. Vom Flussufer. Den brauche ich   ... Du weißt schon, wozu.«
    »Ja, ich weiß.« Reynevan blickte sich nervös um. »Gewiss doch.«
    Radim Tvrdik war, wie alle Eingeweihten wussten, ein Magier. Radim Tvrdik war auch, wie einige wenige der Eingeweihten wussten,
     von der Idee besessen, einen künstlichen Menschen, einen Golem, zu schaffen. Alle, sogar die so gut wie nicht Eingeweihten,
     wussten, dass es bis dahin nur einmal in fernen Zeiten einem Prager Rabbiner, dessen gewiss verunstalteter Name in den erhalten
     gebliebenen Dokumenten mit Bar Halevi angegeben wurde, gelungen war, einen Golem zu erschaffen. Jenem Juden, wie man wissen
     wollte, habe seinerzeit Ton, Schlamm und Schlick vom Grunde der Moldau als Rohstoff zur Erschaffung des Golem gedient. Tvrdik
     jedoch vertrat als Einziger die Ansicht, nicht die immerhin bekannten Zeremonien und Beschwörungen hätten hierbei die entscheidende
     Rolle gespielt, sondern eine ganz bestimmte astrologische Konjunktion habe Einfluss auf Schlamm und Ton und deren magischen
     Eigenschaften. Freilich ohne dabei die geringste Ahnung davon zu haben, um welche konkrete Planetenkonstellation es sich handeln
     könnte. Tvrdik arbeitete nach dem Ausschlussverfahren – er holte sich Schlamm, sooft es ging, in der Hoffnung, einmal den
     geeigneten zu finden. Er holte ihn auch von verschiedenen Orten. Heute aber hatte er eindeutig übertrieben – dem Gestank nach
     zu urteilen, hatte er diesen Schlamm direkt unter einem Scheißhaus hervorgeholt.
    »Du bist nicht bei der Arbeit, Reinmar?«, fragte er, sich die Stirn mit dem Handrücken abwischend. »Nicht im Spital?«
    »Ich habe mir freigenommen. Es gab nichts zu tun. Ein ruhiger Tag.«
    »Geb’s Gott«, der Magier stellte seinen Eimer ab, »dass dies nicht der letzte ruhige ist. Denn die Zeiten sind danach   ...«
    Jeder in Prag wusste, was gemeint war, um was für Zeiten es |16| sich handelte. Aber jeder zog es vor, nicht darüber zu reden. Man brach den Satz einfach ab. Sätze abzubrechen hatte sich
     in letzter Zeit überraschend schnell verbreitet und war Mode geworden. Die Konvention gebot, als Antwort auf solch einen abgebrochenen
     Satz eine schlaue Miene aufzusetzen, zu seufzen und bedeutungsvoll zu nicken. Aber dazu hatte Reynevan keine Zeit.
    »Geh deines Weges, Radim«, sagte er und blickte sich um. »Ich kann hier nicht stehen bleiben. Und es wäre besser, wenn auch
     du nicht stehen bliebest.«
    »Häää?«
    »Ich werde verfolgt. Deshalb kann ich auch nicht zu den Tuchlauben gehen.«
    »Du wirst verfolgt?«, wiederholte Radim Tvrdik. »Die Üblichen?«
    »Sicher. Mach’s gut.«
    »Warte.«
    »Worauf denn?«
    »Es ist nicht sinnvoll, wenn man versucht, seine Verfolger abzuhängen.«
    »Warum denn?«
    »Für die Verfolger«, erklärte der Böhme mit bemerkenswertem Scharfsinn, »ist der Versuch, sie abzuschütteln, ein sicheres
     Zeichen dafür, dass der Verfolgte kein reines Gewissen und etwas zu verbergen hat. Einem Dieb brennt die Kappe. Dass du nicht
     zu den Tuchlauben gehst, ist vernünftig. Aber schlag keine Haken, verschwinde nicht, versteck dich nicht. Tu das, was du immer
     tust. Geh deinen Alltagsgeschäften nach. Schläfere die Verfolger durch öde Alltagsroutine ein.«
    »Zum Beispiel?«
    »Ich habe
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