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Gottesstreiter

Titel: Gottesstreiter
Autoren: dtv
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Astronomen und Kartographen nach Sagres, jüdische Gelehrte, Seefahrer,
     Kapitäne und Schiffsbaumeister. Und dann ging es los.
    Anno Domini 1418 gelangte Kapitän João Gonçalves Zarco zu den Inseln, die als
Insulas Canarias
, also Kanarische Inseln, bekannt wurden; der Name stammt daher, dass man dort eine außergewöhnliche Vielzahl an Hunden vorfand.
     Nur wenig später, nämlich 1420, segelte jener João Gonçalves Zarco gemeinsam mit Tristão Vaz Teixeira zu einer Insel, die
     Madeira genannt wurde. Im Jahre 1427 gelangten die Karavellen Diego de Silves zu den Inseln, die man Azoren benannte, Diego
     und Gott allein wissen, weshalb. Erst vor ein paar Jährchen, nämlich 1434, hat ein weiterer portugiesischer Seefahrer, Gil
     Eanes, das Kap Bojador umschifft. Und es geht das Gerücht, dass der tätige Infant Dom Henrique ein neuerliches Unternehmen
     vorbereitet, er, den einige bereits
El Navegador
– den »Seefahrer« nennen.
    In der Tat, ich bewundere jene Meeresbezwinger und hege große Wertschätzung für sie. Welch unerschrockenen Leute sind das!
     Welch ein Graus ist es, sich unter Segeln auf den Ozean hinauszuwagen! Dort herrschen Böen und Stürme, da gibt es Felsen unter
     der Wasseroberfläche, Magnetberge, kochende |8| oder zähflüssige See und in einem fort Wirbel und Turbulenzen, und wenn nicht Turbulenzen, dann Strömungen. Es wimmelt dort
     nur so von Ungeheuern, das Wasser ist voller Seedrachen, Seeschlangen, Delphine, Tritonen, Hippocampi, Sirenen und Plattfische.
     Im Meer tummeln sich
sanguisugae
,
polypi
,
octopodes, locustae, cancri,
verschiedenste
pistrices et huic similia.
Das Schrecklichste aber kommt am Ende – dort, wo der Ozean aufhört, an seinem äußersten Rand, beginnt die Hölle.
    Warum wohl, meint Ihr, ist die untergehende Sonne so rot? Eben weil sie sich im Höllenfeuer spiegelt. Über den ganzen Ozean
     verstreut sind Löcher; segelt man mit einer Karavelle versehentlich über ein solches Loch, stürzt man geradewegs in die Hölle,
     Hals über Kopf, mitsamt dem Schiff und allem Drum und Dran. Ein solches Bild wurde erschaffen, damit sich kein Sterblicher
     auf die Meere hinauswagt. Die Hölle ist die Strafe für all jene, die dieses Verbot missachten.
    Aber wie ich das Leben kenne, wird dies die Portugiesen nicht aufhalten.
    Denn
navigare necesse est
, und jenseits des Horizonts liegen Inseln und Länder, die es zu entdecken gilt. Das ferne Taprobane muss in die Karten eingezeichnet,
     der Weg hin zu dem geheimnisvollen Cipangu in den Roteiros beschrieben und die
Fortunatae Insulae,
die Glücklichen Inseln, in den Portolanen markiert werden. Man muss weitersegeln auf der Fährte des heiligen Brendan, auf
     der Fährte der Träume, gen Hy Brasil, dem Unbekannten entgegen. Um das Unbekannte zu erforschen und bekannt zu machen.
    Und dann –
quod erat demonstrandum
– wird die Welt für uns kleiner werden, schrumpfen; denn noch ein wenig Zeit, und alles findet sich auf den Landkarten, den
     Portolanen und den Roteiros. Und plötzlich ist alles ganz nah.
    Die Welt schrumpft zusammen und wird um noch eines ärmer – um die Legenden. Je weiter die portugiesischen Karavellen segeln,
     je mehr Inseln entdeckt und benannt werden, umso weniger werden die Legenden. Wohin man auch blickt, schon |9| löst sich wieder eine in Luft auf. Wir werden um immer mehr Träume ärmer. Und wenn die Träume sterben, nimmt das Dunkel ihren
     verwaisten Platz ein. Im Dunkeln aber, besonders wenn auch noch der Verstand einschläft, erwachen die Ungeheuer. Wie? Das
     hat schon jemand gesagt? Mein lieber Herr! Gibt es denn überhaupt etwas, was nicht schon einmal jemand gesagt hat?
    Ach je, die Kehle ist mir ganz trocken geworden   ... Ob ich ein Bier verschmähen würde, fragt Ihr? Gewiss nicht.
    Was sagt Ihr, frommer Bruder des heiligen Dominicus? Aha, dass es langsam Zeit wird, mit dem Geschwafel aufzuhören und mit
     meiner Erzählung fortzufahren? Zu Reynevan, Scharley, Samson und den anderen zurückzukehren? Ihr habt Recht, Bruder. Es wird
     Zeit. Ich komme also darauf zurück.
    Das Jahr des Herrn 1427 war heraufgezogen. Erinnert Ihr Euch noch, was es gebracht hat?
    Gewiss doch. Das kann man nicht vergessen. Aber ich will es Euch noch einmal ins Gedächtnis rufen.
    Im Frühling jenes Jahres, wohl im März, aber sicher noch vor Ostern, erließ Papst Martin V. die Bulle
Salvatoris omnium
, in der er die Notwendigkeit des nächsten Kreuzzuges gegen die böhmischen Ketzer feierlich verkündete.
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