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Gottes Zorn (German Edition)

Gottes Zorn (German Edition)

Titel: Gottes Zorn (German Edition)
Autoren: Olle Lönnaeus
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Elektrizität konnte man sich schon eine Weile nicht mehr verlassen. Die Arbeiter des Stromkonzerns schufteten bestimmt rund um die Uhr, um Bäume beiseitezuräumen, die auf die Leitungen gestürzt waren. Joel schaltete seine Taschenlampe ein, warf den Riemen der Schrotflinte über die Schulter und trottete los. Sobald er um die Hausecke bog, wurde er mit voller Kraft vom Schneesturm erfasst. Er klappte den Schaffellkragen hoch und zog sich die Mütze tief in die Stirn.
    Bei diesem Wetter verlaufen sich ja selbst Hunde, dachte er.
    Weit entfernt hörte er sie jaulen.
    Oder war es das Heulen des Sturms?
    In seinem vom Alkohol umnebelten Schädel hatte Joel sich einen Plan zurechtgelegt. Wenn er nur die richtige Richtung einschlagen und geradewegs Kurs über die Felder halten würde, müsste er früher oder später auf die Eisenbahnschienen stoßen. Dann könnte er dem Bahndamm folgen, bis er das Silo der Genossenschaft erblickte. Und von dort waren es nicht mehr als ein paar hundert Meter bis zu Mårtens Haus.
    Nach einem kurzen Stück blickte er sich um. Seine Spuren schneiten bereits wieder zu. Der Schornstein war zwischen den Schneeböen, die aus dem Nachthimmel herunterschossen, gerade noch zu erkennen. Um ihn herum wogten die Schneewehen wie Sturmwellen auf dem Meer. Während er im einen Moment mit dem Fuß gegen einen Erdwall stieß, versank er im anderen bis zum Brustkorb in einem Graben. Joel stemmte sich mit Knien und Oberschenkeln gegen schwere Schneemassen und keuchte und schwitzte unter der Mütze, während der Sturm sein Gesicht rot peitschte.
    Dann kamen ihm Zweifel.
    «Warum eigentlich?», stieß er zwischen den Zähnen hervor.
    Es klang, als hätte der Alte vor, seinem Leben ein Ende zu setzen. Oder glaubte er wirklich, dass sie hinter ihm her wären? Zumindest hatte Mårten den Eindruck erweckt, als hätte er Todesangst. Wenn er ihm nicht einen Streich gespielt hatte, wankelmütig in seinem Selbstmitleid.
    «Nach so langer Zeit …», murmelte Joel und stemmte sich gegen den Wind.
    Seine Oberschenkel wurden bald taub, und die Kälte brannte in der Luftröhre. Ihm tränten die Augen. Der Mantel war inzwischen durchnässt und so schwer, als schleppte er ein totes Tier auf seinen Schultern. Joel wurde von einer heftigen Lust erfasst loszuschreien. Er blieb stehen, legte den Kopf weit in den Nacken und brüllte in die Wolken hinauf, bis er einen Blutgeschmack im Mund verspürte. Doch das Einzige, was er hörte, war das Tosen des Sturms. Er hustete. Spuckte. Sah, wie etwas Rotes vom Schnee aufgesaugt wurde.
    Missmutig schaute er sich um. Die Eisenbahnschienen hätten eigentlich schon längst auftauchen müssen. Konnte es sein, dass er sie verfehlt hatte? Sein Blick verschwamm ja ständig in Tränen. Die Schneeflocken glitzerten im Schein der Taschenlampe. Joel hatte keine Ahnung, wie lange er schon in diesem Unwetter umherirrte. Die Zeit hatte sich aufgelöst und war ebenso wenig berechenbar wie die Windrichtung.
    Was erwartete er eigentlich, in diesem elendigen Eternithaus hier draußen in der Einöde vorzufinden?
    Wen erhoffte er anzutreffen?
    Frühe, verblichene Erinnerungen zogen vor seinem inneren Auge vorbei, ohne hängen zu bleiben. Es hatte weh getan, so viel wusste er zumindest noch.
    Plötzlich wurden seine Gedanken jäh von einem Gebrüll unterbrochen, das so wütend klang, als käme es unmittelbar aus der Unterwelt. Joel hob den Blick. Mit einem Mal war es, als wäre der Sturm verstummt.
    «Ruhig», brummte er, ohne sich vom Fleck zu rühren.
    Vor sich erblickte er einen schwarzgrauen Schatten. Er rieb sich die Augen. Verdammte Tränen! Im Lichtkegel blitzte etwas auf. Ein Wildschwein? Ja, jetzt meinte er es ganz deutlich zu erkennen. Der Keiler beäugte ihn und nahm Witterung auf. Er stampfte auf der Stelle, schnaubte und schüttelte sich den Schnee von den Borsten.
    Ein Untier, das sich ebenso in Zeit und Raum verloren hatte wie er selbst.
    Erschrocken machte Joel kehrt und floh. Nach einigen Metern kam er in einer Schneewehe zu Fall, rappelte sich aber schnell wieder auf. Kaum war er auf den Beinen, fiel er erneut. Jetzt sterbe ich!, durchfuhr es ihn. Doch Joel stand wieder auf und rannte los, so gut es ging. Mit rasendem Herzen stürmte er durch die Winternacht, bis er mit dem Fuß gegen etwas Hartes stieß und kopfüber fiel. Er schlug mit dem Kopf auf dem Boden auf, dann wurde alles schwarz.
    ***
    A ls er wieder zu sich kam, herrschte noch immer tiefe Dunkelheit. Joel blinzelte
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