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Gott und die Staatlichen Eisenbahnen

Gott und die Staatlichen Eisenbahnen

Titel: Gott und die Staatlichen Eisenbahnen
Autoren: Peter Ustinov
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er sich einigermaßen erholt und die Sprache wiedergefunden hatte?«
    »Nichts, Señor. Er weigerte sich hartnäckig, etwas zu sagen.«
    »Er weigerte sich? Kamen Sie nicht auf die Idee, er könnte unfähig sein, etwas zu sagen?«
    »Doch, er sagte ein Wort, Señor.«
    »Ein Wort, Sergeant? Folglich hat er nicht nichts gesagt, wie Sie behaupten.«
    Wieder fuhr sich der Sergeant über die Stirn. »Wie lautet dieses Wort, Sergeant?«
    »Shkipra.«
    »Und was bedeutet es?«
    »Ich weiß nicht, Señor.« Der Major seufzte.
    »Auf welche Frage antwortete er mit diesem Wort – wie hieß es doch gleich?«
    »Shkipra, Señor. Auf alle Fragen, Señor.« Der Sergeant hielt zwei Blätter seines Formulars empor. »Ich weiß nicht, in welche Spalte ich die Antwort eintragen soll, Señor.« Der Major wandte sich an den Fremden. »Wie heißen Sie?«
    »Shkipra.«
    »Wie gefällt es Ihnen in Spanien?«
    »Shkipra.«
    »Verstehe, was Sie sagen wollen.«
    Der Major zog ein Päckchen Bisontes aus der Tasche und bot dem Mann eine an.
    »Zigarette!« rief der Mann erfreut und nahm sich eine. »Er spricht zumindest zwei Wörter, Sergeant«, drohte der Major. »>Shkipra< und >Zigarette<.«
    »Zigarette«, pflichtete der Mann eifrig bei. »Nun, ich weiß, was wir tun werden«, sagte der Major. »Ola, Sie da«, rief er dem in der Tür lehnenden Vicente zu. »Laufen Sie rasch ins Schulhaus, und holen Sie einen Weltatlas.«
    »Es ist sinnlos«, seufzte der Sergeant. »Er kann weder lesen noch schreiben.«
    »Haben Sie verstanden?«
    Vicente ersparte sich eine Antwort, setzte sich aber gemächlich in Bewegung.
    Die Dorfbewohner staunten nicht wenig, als sie Vicente bald darauf mit einem Globus daherkommen sahen, den er wie eine Speckseite hoch über dem Kopf trug.
    »Ist nicht gerade das, was ich meinte«, sagte der Major. »Aber es muß genügen.« Er wandte sich an den Fremden. »Shkipra?« fragte er.
    Der Fremde runzelte angestrengt die Stirn. Er hatte Probleme mit der merkwürdigen Form dieser Landkarte, fuhr aber mit einem tastenden Finger auf ihr herum. Plötzlich stoppte er den kreisenden Globus und zeigte auf ein kleines Land, wobei er aufgeregt rief: »Shkipra! Shkipra!«
    Der Major setzte seine Brille auf und musterte das angegebene Territorium.
    »Albanien «, verkündete er.
    »Albanien«, hallte das Echo durch den Raum.
    »Unmöglich«, sagte Zuniga.
    »Tirana?« fragte der Major.
    »Tirana«, erwiderte der Fremde. »Dürres, Elbasan, Shkoder.«
    »Also, es ist Albanien«, erklärte der Major und klappte seine Brille zusammen.
    »Aber, dies ist ein kommunistisches Land«, wandte Quiroga ein.
    »Es ist auch ziemlich weit für einen einsamen Schwimmer«, grübelte der Major.
    »Was tun wir jetzt?«
    Der Major überlegte einen Moment, dann sagte er: »Dies ist ein Fall für Madrid.«
    »Einstweilen werde ich den Mann in Haft nehmen«, meldete sich der Sergeant erneut zu Wort.
    Der Major musterte seinen Mann.
    »Oh, ich denke, das wird kaum nötig sein, Sergeant. Geben Sie ihm etwas zu tun. Ich vermute, er ist keine große Gefahr für unsere Sicherheit.«
    Bevor der Sergeant protestieren konnte, ließ Vicente ein Zungenschnalzen hören, das ihm die Aufmerksamkeit aller Anwesenden eintrug. Mit einem Wink seiner Augen forderte er den Fremden auf, ihm zu folgen. Der Fremde sprang auf, ohne zu fragen und ohne jemanden um Erlaubnis zu bitten, und ging mit Vicente fort.
    »Wer ist das?« fragte der Major bewundernd. Selten hatte er eine so eindrucksvolle Haltung der Autorität erlebt, wie Vicente sie zur Schau trug.
    »Ach, ein armer Ignorant«, erwiderte der Sergeant mit schlecht verhohlenem Haß. »Er war es, der El Albanes gerettet hat.«
    »Dann ist es gut, daß sie Freunde werden«, sagte der Major. »Kommen Sie, wir müssen unseren Bericht für Madrid aufsetzen.«
    Mit einer nachsichtigen Abschiedsgebärde, die bewies, daß der Major gar kein so furchterregender Mann war, erklärte er dem Sergeanten, daß es nicht nötig sei, das Formular auszufüllen. Der Sergeant aber konnte in solcher Milde nichts anderes als eine Kränkung sehen, denn in seinen Augen war ein Sergeant ohne ein ausgefülltes Formular nur ein halber Sergeant.
    Tag für Tag, manchmal bis spät in die Nacht, saßen nunmehr zwei Gestalten auf der Mauer am Meer. Sie sprachen nie miteinander – es gab nichts zu sagen und keine gemeinsame Sprache, in der etwas gesagt werden konnte. Ihre Augen richteten sie unverwandt auf diese mächtige Winterlandschaft mit ihren
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