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Gott und die Staatlichen Eisenbahnen

Gott und die Staatlichen Eisenbahnen

Titel: Gott und die Staatlichen Eisenbahnen
Autoren: Peter Ustinov
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sollte. Plötzlich sprach der kleine Mann, er sagte etwas, das sich anhörte wie »Shkipra«.
    »Shkipra, Shkipra«, wiederholte er beharrlich, als man ihn um eine Erklärung bat.
    Die Frauen äußerten wilde Spekulationen über den Sinn dieses undefinierbaren Wortes, und endlich einigten sie sich, es müsse dem Wahnsinn entspringen. Doktor Valdes zerbrach sich den Kopf, ob es eine Krankheit dieses Namens gäbe – doch er hatte vor sehr langer Zeit sein Examen gemacht, und von seinen Patienten erwartete er, daß sie an wenigen, wohl definierten Leiden erkrankten. Shkipra war da nicht vorgesehen.
    Plötzlich reckte sich Pater Ignacio auf und sagte aus heiterem Himmel: »Senatus Populusque Romanus.« Die Frauen blickten ihn fragend an. »Was sagte der hochwürdige Vater?« fragte Pacos Frau. »S.P.Q.R.«
    »Shkipra«, bejahte der kleine Mann und deutete aufgeregt auf seine Brust. »Der Mann ist zweifellos Römer«, erklärte Pater Ignacio, und seine Augen funkelten durch den Blechrahmen seiner Brille. »Das ist’s, was er uns sagen will.«
    »Ein Römer?« stammelte Doktor Valdes. »Wie haben Sie das herausgefunden?«
    »Senatus Populusque Romanus«, antwortete Pater Ignacio, »der Senat und das Volk von Rom… Ich erinnere mich, diese Worte auf jeder Mülltonne der Ewigen Stadt gesehen zu haben.«
    »Rom ist die Heimat unserer Mutter Kirche«, besann sich Pacos Gattin, mit einem blassen Anflug von Heiligkeit. »Die Heimstatt aller Wunder.«
    »Was wollen Sie damit sagen, verdammt?« polterte Doktor Valdes. Er hatte einst in der Todesschwadron des Caudillo gedient und überlebt. »Spanien hat mehr Wunder hervorgebracht als jedes andere Land der Erde, und ohne Hilfe des Auslands. Die weinende Jungfrau von Fuenteleal, die blutspendende Quelle von San Leandro, der kopfnickende Christus vom Dornbusch.«
    Pater Ignacio hob eine nachsichtige, doch gebieterische Hand.
    »Es schickt sich nicht, weltlichen Streit zu führen über die Größe unserer Wunder, verglichen mit jenen anderer Völker, zumal unser Reichtum an solchen göttlichen Erscheinungen uns Toleranz befiehlt gegen alle, die weniger reich gesegnet sind. Dennoch bleibt die Tatsache bestehen, daß dieser einfache römische Bauer sein Leben einer himmlischen Macht verdankt: Sie hat unseren guten Vicente heimgesucht und sein Auge auf einen bestimmten Punkt in den tosenden Wellen gelenkt. Also mag es genügen, daß dieser arme Bauer den einen wahren Glauben mit uns teile. Es ist eine vollkommene Legende – ihre Moral ist so klar und so schön wie eine Blume. Deo gratias.«
    »Amen«, murmelten die Frauen.
    Die Tür wurde aufgestoßen, und dort stand Sergeant Cuenca Loyola, auf dem Kopf die unheilverkündende Mütze der Guardia Civil, in deren Plastikschirm sich das zitternde Kerzenlicht spiegelte. Hinter ihm stand Baez, sein Assistent. »Was ist hier passiert?« knurrte Sergeant Loyola. »Ein Wunder!« kreischten die Frauen.
    »Ein Wunder? Ich bin sehr überrascht. Überrascht und empört über euch alle – Pater Ignacio, Doktor Valdes, Paco, Vicente. Wißt ihr denn nicht, Männer, daß ihr mich sofort von der Ankunft eines Fremden benachrichtigen müßtet? Ich könnte euch verhaften für diesen Versuch des Menschenschmuggels nach Spanien.«
    »Wäre ich nicht gerufen worden, dann wär’s ein Leichenschmuggel«, zischte Dr. Valdes.
    »Man hätte mich gleichzeitig benachrichtigen müssen!« Zu diesem Zugeständnis fand sich Sergeant Cuenca Loyola bereit. »Jetzt aber an die Arbeit!« rief er, und Baez zog ein Notizbuch und einen Bleistift hervor.
    »Ich frage mich, zum Teufel, was Sie eigentlich auf Ihren Block schreiben wollen«, kicherte Dr. Valdes. »Was wir auf unseren Block schreiben, ist eine Amtshandlung, und ich verbitte mir jeglichen Kommentar«, verkündete der Sergeant.
    »Ich habe in der Todesschwadron gedient!« protestierte Dr. Valdes. »Ich kenne die amtlichen Vorschriften, und ich respektiere sie. Aber selbst General Millan-Astray, der ein Genie war – seine Seele ruhe in Frieden –, hätte das Schweigen des Kameraden hier nicht zu deuten vermocht.«
    »Wir werden ihn zum Sprechen bringen!« rief der Sergeant. Er war überzeugt, daß auch ein Unwissender absichtlich versucht, seine Unwissenheit zu verheimlichen. »Nun also, Sie heißen?«
    Der Fremde nickte und lächelte. Dr. Valdes stieß ein asthmatisches Kichern aus. »Sie sehen, er gibt Ihnen recht, Sergeant.«
    »Ruhe! Ich frage Sie nach Ihrem Namen!«
    »Shkipra.«
    »Er ist Analphabet«,
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