Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gorian 1: Das Vermächtnis der Klingen

Gorian 1: Das Vermächtnis der Klingen

Titel: Gorian 1: Das Vermächtnis der Klingen
Autoren: Alfred Bekker
Vom Netzwerk:
drehte sich, Wind fiel ins Segel und ließ es erneut flattern.
    Gorians Blick wanderte an seinem Vater vorbei.
    Dort war nichts außer der weiten glitzernden Wasserfläche der Thisilischen Bucht und in der Ferne eine Wand aus grauem Dunst.
    In diesem Augenblick vermochte Gorian endlich zu schreien. Aber es war kein Schmerzensschrei wegen des ätzenden Fischbluts, sondern eine Warnung – gemischt mit Entsetzen.
    Ein einziges Wort kam über die Lippen des Jungen. »Da!« Er streckte den Arm aus, deutete dorthin, wo noch nichts war, und legte in diesen Schrei alle Kraft, zu der er fähig war.
    Im selben Moment tauchte etwa fünf Schiffslängen von der Barkasse entfernt ein zweiter geflügelter Fisch aus dem Wasser. Er war kleiner als der erste, vom Kopf bis zum Schwanz maß er nicht mehr als eine Mannlänge. Dafür war er viel schneller als die Bestie zuvor. Das surrende Geräusch der schwirrenden Flügel klang wie hundert wütende Hornissenschwärme.
    Das Wesen aus der Tiefe schoss auf Nhorich zu. Dieser wirbelte herum, stieß erneut einen Schrei aus und ließ die Klinge des Schwerts durch die Luft sausen. Sie glühte kurz auf, als sie durch den Leib des geflügelten Fisches fuhr, und es zischte, als dessen Blut das Eisen berührte, aus dem die Waffe geschmiedet war. Mit einem einzigen Schlag trennte Nhorich der Kreatur den Kopf ab.
    Das ätzende Blut spritzte hoch empor, aber eine plötzliche Windböe wehte den giftigen Lebenssaft des Geschöpfes hinaus aufs Meer, sodass diesmal weder Nhorich noch Gorian davon getroffen wurden.
    Nhorich sah sich um. Seine Augen waren noch immer von vollkommener Finsternis erfüllt. Gorian würde diesen Anblick in seinem Leben nicht vergessen.
    Sein Vater schien etwas zu suchen. Das Boot schwankte, aber er stand noch immer da, das Schwert in beiden Händen, und hielt offenbar nach weiteren geflügelten Fischen Ausschau, die ihn und seinen Sohn attackieren wollten. Doch sofern sich noch weitere dieser Kreaturen im Meer um sie herum verbargen, war ihnen die Gier nach Beute vergangen.
    Nhorichs Körperhaltung entspannte sich. »Es ist vorbei«, sagte er. »Sie sind fort …«
     
    »Erinnerst du dich daran, wie uns die geflügelten Fische angegriffen haben?«, fragte Gorian seinen Vater ein paar Jahre später.
    »Natürlich.«
    »Hast du im Voraus gewusst, dass die Bestie plötzlich aus dem Wasser kommen würde?«
    Sein Vater lächelte. »Ja, einen kurzen Moment, bevor es geschah, habe ich es gewusst.«
    »Das lernt man als Schwertmeister des Ordens, nicht wahr?«
    »So ist es. Aber man kann es nur lernen, wenn die grundsätzliche Begabung dafür vorhanden ist. Doch jetzt musst du mir auch eine Frage beantworten, Gorian.«
    »Welche?«
    »Erinnerst du dich an den zweiten geflügelten Fisch damals?«
    »Natürlich. Er kam von hinten auf dich zu.«
    »Und du hast mich gewarnt, bevor er aus dem Wasser stieg.«
    »Ja«, murmelte der Junge, und sein Blick wurde so abwesend und in sich gekehrt, wie er es ansonsten oft bei seinem Vater beobachten konnte. »Ich habe ihn gesehen. Noch bevor er da war.«
    Nhorich nickte und strich ihm über den Kopf. »Du warst erst zwei. Das ist sehr früh.«
    »Wie meinst du das?«
    »Vergiss diesen Augenblick niemals. Erinnere dich von Zeit zu Zeit an genau diesen Moment, und versuche ihn dir so genau wie möglich vorzustellen.«
    »Warum?«
    »Du darfst keine Einzelheit vergessen.«
    »Das werde ich nicht«, versprach Gorian. »Und ich denke fast jeden Tag an dieses Erlebnis.«
    Sein Vater atmete tief durch. »Eines Tages werde ich dir erklären, was das alles zu bedeuten hat.«
    »Warum nicht jetzt?«
    »Es ist zu früh. Glaub mir, es wäre nicht gut für dich, mehr zu wissen. Noch nicht.«
     
    »Erzähl mir von Mutter«, bat Gorian. Er war inzwischen zehn Jahre alt und stellte diese Forderung keineswegs zum ersten Mal.
    »Was soll ich dir über sie erzählen – außer dem, was du schon weißt?«, erwiderte Nhorich. Sein Bart war mittlerweile grau meliert, aber er war immer noch ein Mann voller Kraft und Vitalität.
    Gorian hatte seine meergrünen Augen geerbt und den wachen, sehr intensiven Blick, von dem Außenstehende oft den Eindruck hatten, er versuche damit, sie zu durchdringen.
    Es war ein Ritual zwischen ihnen: Gorian fragte nach seiner Mutter, und Nhorich erzählte ihm all das, was er über sie wusste oder wovon er meinte, dass Gorian es wissen sollte, was vielleicht nicht ganz dasselbe war.
    »Stimmt es, dass ihr Tod mit meiner Geburt zu tun
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher