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Goldmarie auf Wolke 7

Goldmarie auf Wolke 7

Titel: Goldmarie auf Wolke 7
Autoren: Gabriella Engelmann
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nachher unbedingt noch was für Latein machen. Ein anderes Mal, okay?« Julia zog einen Flunsch. »Finchen wird enttäuscht sein, sie hat dich schon so lange nicht mehr gesehen. Und Mama hat auch schon gefragt, ob wir uns gestritten haben.«
    Ein feiner Stich fuhr mir ins Herz. Im Gegensatz zu meiner Mutter interessierte sich Gesa von Menkwitz für ihre Tochter und somit auch für deren Freundinnen. Aber sie war ja auch Julias leibliche Mama, was bei Kathrin nicht der Fall war.
    Sie war nur meine Stiefmutter. Von meiner »echten« fehlte, seit ich drei war, jede Spur. »Gib Finchen einen Kuss und sag ihr, dass wir bald was zusammen unternehmen. Sorry, Jule, ich muss jetzt wirklich los, sonst flippt die Drachenlady aus.« Die Drachenlady hieß eigentlich Ludmilla Drach, sah aber so aus, als würde sie ihren Jahresurlaub vorzugsweise in Transsilvanien verbringen. Ihre spitzen, langen Eckzähne waren nicht nur unästhetisch, sondern konnten einem echt Angst machen. Dass ausgerechnet so jemand Bio-Backwaren produzierte, würde mir auf immer ein Rätsel bleiben.
    Eine halbe Stunde später parkte ich mein Rad im Hinterhof der Bäckerei, in der ich jobbte, seit Kathrin mich gebeten hatte, ein bisschen was zum gemeinsamen Haushalt beizutragen. Grundsätzlich hatte ich kein Problem damit – bis zu dem Zeitpunkt, als ich herausfand, dass diese Bitte sich nicht an Lykke gerichtet hatte. Lykke war meine Stiefschwester, die leiblicheTochter von Kathrin. Und für Lykke (von Jule nur die faule Socke genannt) galten grundsätzlich andere Regeln.
    Oder genauer gesagt: GAR KEINE.
    »Du bist zu spät«, stieß Ludmilla zwischen ihren vom vielen Rauchen vergilbten Zähnen hervor und kräuselte die überschminkten blutroten Lippen. Anstelle einer Antwort ging ich zum Backautomaten und befüllte ihn mit Bio-Franzbrötchen, Roggenbrot, Schrippen und was sonst noch gerade fehlte.
    Wie immer war ich zehn Minuten vor meiner Schicht da, wo also war das Problem?
    Ludmilla streifte die Einweghandschuhe ab und nahm ihren schwarzen, verfilzten Woll-Poncho vom Garderobenhaken. Mit den Worten »Dass du mir ja keine Sekunde früher als sieben Uhr abschließt« verließ sie den Laden. Eine Wolke von schwerem Billigparfüm hing in der Luft und drohte einen kurzen Moment lang, mich zu ersticken.
    »Moinsen«, schallte es da fröhlich durch den Raum und ich blickte erfreut in die blitzblauen Augen von Knud, der direkt nebenan seinen Kiosk hatte. »Na Knud, alles klar?«, fragte ich und nahm gewohnheitsmäßig seinen Becher mit dem Logo Hamburg, meine Perle entgegen. Dann stellte ich ihn unter unsere Kaffeemaschine. »Ja, alles klar. Es gibt allerdings eine kleine Planänderung: Heute nehme ich eine Zimtwecke anstelle der üblichen sechs Quarkbällchen.«
    »Huch? Was ist passiert? Alles in Ordnung mit dir?«, fragte ich, weil Knud, seit ich hier jobbte, jeden Tag dasselbe bestellte. »Man muss sich ab und an auch mal ’n büschn Abwechslung gönnen«, antwortete er und grinste. Zumindest nahm ich das an. Der silbergraue Vollbart verdeckte seine Lippen fast komplett, sodass ich mir nicht wirklich sicher sein konnte. »Ich dachte, es sei schon Aufregung genug für dich, dass St. Pauli abgestiegen ist und jetzt in der Zweiten Liga spielt«, rutschte es mir spontan heraus. Upps! Knud war der größte Fan des Hamburger Fußballvereins, den ich kannte.
    »Nu werd mal nich’ frech, du kleiner Keks«, antwortete er und drohte mit dem Zeigefinger. »Bloß weil du fast siebzehn bist, heißt das noch lange nicht, dass du mit einem alten Herrn wie mir Scherze treiben darfst. Du weißt doch, dass ich ein schwaches Herz habe.«
    »Dafür aber ein sehr, sehr großes«, schmunzelte ich und reichte ihm den gefüllten Becher sowie einen Porzellanteller mit der Zimtwecke über den Tresen. Dann notierte ich routinemäßig den Betrag auf einer Liste, die an der Wand hing, denn Knud Johannson zahlte immer erst am Monatsende.
    Im Gegenzug ließ auch Ludmilla ihre Zeitschriften bei ihm anschreiben. Na ja, was sie so als Zeitschrift bezeichnete. Alles, was das Wort Golden im Titel enthielt und sich mit Klatsch und Tratsch der untersten Schublade beschäftigte, war wie für sie gemacht.
    Drachenfutter für die Drachenlady!
    Nachdem Knud gegangen war, schaute ich eine Weile aus dem Fenster. Vor meinen Augen schlurften die üblichen Kiez-Gestalten über den Bürgersteig. Julia fand den Anblick der wilden Mischung aus Türstehern, Obdachlosen, Junkies, Punks und Touristen immer
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