Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Goldgrube

Goldgrube

Titel: Goldgrube
Autoren: Sue Grafton
Vom Netzwerk:
Von nahem konnte ich sehen, daß sie dunkle Augen hatte, während meine haselnußbraun waren, und daß ihre Nase so aussah wie meine, bevor sie mir zweimal gebrochen wurde. Sie zu sehen war, als sähe ich mich selbst unvermittelt in einem Spiegel, ein zugleich fremder und vertrauter Anblick. Ich und nicht ich.
    Tasha brach das Schweigen. »Das ist ja unheimlich. Liza hat mir zwar gesagt, daß wir uns ähnlich sehen, aber damit habe ich wirklich nicht gerechnet.«
    »Es steht offenbar außer Zweifel, daß wir verwandt sind. Was ist mit den anderen Cousinen? Sehen sie auch aus wie wir?«
    »Variationen zu einem Thema. Als Pam und ich Teenager waren, wurden wir oft miteinander verwechselt.« Pam war die Schwester zwischen Tasha und Liza.
    »Hat Pam ihr Baby inzwischen bekommen?«
    »Schon vor Monaten. Ein Mädchen. Große Überraschung«, sagte sie trocken. Ihr Tonfall war ironisch, aber ich begriff den Witz nicht. Sie spürte die unausgesprochene Frage und lächelte daraufhin flüchtig. »Alle Kinsey-Frauen bekommen Mädchen. Ich dachte, du wüßtest das.«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Pam hat sie Cornelia getauft, um sich bei Grand einzuschmeicheln. Leider versuchen wohl die meisten von uns hin und wieder, bei ihr Punkte zu sammeln.«
    Cornelia LaGrand war der Mädchenname meiner Großmutter, Burton Kinsey. »Grand« war seit dem Säuglingsalter ihr Spitzname gewesen. Soweit ich gehört hatte, regierte sie die Familie mit eiserner Hand. Sie war großzügig mit Geld, aber nur, wenn man nach ihrer Pfeife tanzte — genau der Grund, aus dem die Familie mich und meine Tante Gin neunundzwanzig Jahre lang so gezielt ignoriert hatte. Ich war in einfachen Verhältnissen groß geworden, eindeutig untere Mittelschicht. Tante Gin, die mich aufgezogen hat, hatte als Bürokraft für California Fidelity Insurance gearbeitet, die Firma, die mich schließlich auch eingestellt (und wieder gefeuert) hatte. Sie war mit einem bescheidenen Gehalt ausgekommen, und wir hatten nie viel besessen. Wir hatten stets in mobilen Behausungen gelebt — Wohnwagen mit wenig Platz — , die ich immer noch bevorzuge. Zugleich war mir aber selbst damals klar, daß andere Leute Wohnwagen für schäbig hielten. Warum, weiß ich nicht.
    Tante Gin hatte mir beigebracht, mich niemals bei jemandem einzuschmeicheln. Was sie mir allerdings verschwiegen hatte, war, daß es einige Verwandte gab, bei denen sich das Einschmeicheln durchaus lohnte.
    Tasha war sich des Dickichts, in das ihre Bemerkungen führten, vermutlich bewußt, und ging zum Nächstliegenden über. »Laß uns erst einmal zu Mittag essen, dann kann ich dich über den Fall informieren.«
    Wir erledigten den angenehmen Teil, unser Essen zu bestellen und zu verspeisen, und plauderten dabei nur über äußerst belanglose Themen. Sowie unsere Teller abgetragen waren, wurde sie allerdings mit einem wirkungsvollen Wechsel ihres Tonfalls ganz geschäftsmäßig. »Klienten von uns hier in Santa Teresa sind in einer verzwickten Lage, die dich vielleicht interessieren könnte. Kennst du die Maleks? Ihnen gehört Malek Construction.«
    »Ich kenne sie nicht persönlich, aber der Name ist mir geläufig.« Ich hatte das Firmenlogo schon auf Baustellen in der Stadt gesehen, ein weißes Achteck wie ein Stopschild, auf dem in der Mitte die Umrisse eines roten Zementmischers prangten. Alle Firmenlastwagen und Baustellentoiletten waren rot wie die Feuerwehr, und die Wirkung war bestechend.
    Tasha fuhr fort: »Es ist eine Sand- und Kiesfirma. Mr. Malek ist vor kurzem verstorben, und unsere Kanzlei verwaltet den Nachlaß.« Der Kellner kam und füllte unsere Kaffeetassen nach. Tasha nahm ein Zuckerpäckchen und faltete erst auf allen Seiten die Kanten des papierenen Randes um, bevor sie die Ecke abriß. »Bader Malek hat 1943 eine Kiesgrube gekauft. Ich weiß nicht, was er damals dafür bezahlt hat, aber heute ist sie ein Vermögen wert. Kennst du dich mit Kies aus?«
    »Nicht die Bohne«, antwortete ich.
    »Ich auch nicht, bis diese Sache aktuell wurde. Eine Kiesgrube wirft auf die Schnelle nicht sonderlich viel Gewinn ab, aber interessanterweise wurde es im Lauf der letzten dreißig Jahre durch Umweltgesetze und Landnutzungsregelungen immer schwieriger, eine neue Kiesgrube aufzumachen. In diesem Teil Kaliforniens gibt es einfach nicht besonders viele. Wenn man nun die Kiesgrube für seine Region besitzt und die Baubranche boomt — was sie zur Zeit tut dann wird die Grube von einem Flop in den Vierzigern zu einem
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher