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Goldgrube

Goldgrube

Titel: Goldgrube
Autoren: Sue Grafton
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keine umwerfende Assoziation, aber trotzdem lustig. Damals verstand ich nicht mehr von Make-up als heute.
    Ich überlegte, ob ich mich besonders schick machen sollte, aber das wäre in meinen Augen wirklich zu weit gegangen, also schlüpfte ich in meine gewohnten Blue jeans, einen Rollkragenpullover, meinen Tweed-Blazer und Stiefel. Ich besitze genau ein Kleid, und das wollte ich nicht für einen solchen Anlaß verschwenden. Ich sah auf die Uhr: elf Uhr fünfundfünfzig. Emile’s war nicht weit, gerade fünf Minuten zu Fuß. Wenn ich Glück hatte, würde mich beim Überqueren der Straße ein Lastwagen anfahren.
    Als ich eintraf, waren fast alle Tische besetzt. In Santa Teresa machen die Strandrestaurants den Löwenanteil ihres Geschäfts in der Touristensaison im Sommer, wenn die Motels und Pensionen in Meeresnähe allesamt ausgebucht sind. Nach dem Labor Day Anfang September werden die Menschenströme dünner, bis die Stadt wieder ihren Bewohnern gehört. Aber Emile’s-at-the-Beach ist auch unter den Einheimischen sehr beliebt und scheint unter dem turnusmäßigen Kommen und Gehen der auswärtigen Gäste nicht zu leiden.
    Tasha mußte mit dem Wagen von Lompoc heruntergefahren sein, da ein schnittiger roter Trans Am mit einem persönlichen Kennzeichen, auf dem TASHA H stand, am Bordstein parkte. Unter Detektiven nennt man so etwas einen Anhaltspunkt. Außerdem macht der Flug von Lompoc hier herunter mehr Ärger, als er wert ist. Ich betrat das Restaurant und suchte die Tische ab. Ich verspürte nur wenig Lust auf die Begegnung, aber ich wollte für alle Möglichkeiten offenbleiben. Welche das waren, wußte ich nicht zu sagen.
    Ich entdeckte Tasha hinter einem der bogenförmigen Durchgänge, bevor sie mich sah. Sie saß in einem kleinen Nebenzimmer abseits des Hauptspeisesaals. Emile hatte sie an einen Zweiertisch direkt am Fenster plaziert. Sie blickte hinaus auf den Kinderspielplatz, der auf der anderen Straßenseite in dem kleinen Park am Strand lag. Das Planschbecken war geschlossen und den Winter über abgelassen worden, ein Kreis aus blaulackiertem Gips, der jetzt wie ein Landeplatz für ein UFO wirkte. Zwei Kinder im Vorschulalter kletterten mühsam rückwärts auf eine daneben stehende Rutsche, die im Sand verankert war. Ihre Mutter saß mit einer Zigarette in der Hand auf der niedrigen Einfassungsmauer aus Beton. Hinter ihr sah man die nackten Masten der Boote, die im Hafen lagen. Der Tag war sonnig und kühl, und am blauen Himmel jagten die Wolken dahin, die ein Unwetter zurückgelassen hatte, das nun nach Süden abzog.
    Ein Kellner kam an Tashas Tisch, und sie sprachen kurz miteinander. Sie nahm eine Speisekarte von ihm entgegen. Ich konnte sehen, wie sie ihn darauf hinwies, daß sie noch auf jemanden wartete. Er zog sich zurück, und sie begann die Auswahl an Gerichten zu studieren. Ich hatte Tasha bisher nie zu Gesicht bekommen, aber im vorletzten Sommer war ich ihrer Schwester Liza begegnet. Ich war verblüfft gewesen, weil Liza und ich uns so ähnlich sahen. Tasha war drei Jahre älter und präsentierte sich solider. Sie trug ein graues Wollkostüm mit einer weißen, kragenlosen Seidenbluse, die aus dem tiefen V-Ausschnitt der Jacke hervorsah. Ihr dunkles Haar war von blonden Strähnen durchzogen und wurde von einer eleganten schwarzen Chiffonschleife an ihrem Nackenansatz hinten zusammengehalten. Der einzige Schmuck, den sie trug, war ein Paar überdimensionale Goldohrringe, die glitzerten, wenn sie sich bewegte. Da sie sich mit der Verwaltung von Nachlässen beschäftigte, hatte sie vermutlich nicht viel Gelegenheit zu flammenden Plädoyers im Gerichtssaal, aber trotzdem würde sie bei einem verbalen Geplänkel ziemlich einschüchternd wirken. Auf der Stelle beschloß ich, meine Angelegenheiten zu ordnen.
    Sie erblickte mich, und ich sah, wie sich ihre Miene belebte, als sie die erstaunliche Ähnlichkeit auch zwischen uns beiden registrierte. Womöglich besaßen alle Kinsey-Cousinen die gleichen Gesichtszüge. Ich hob eine Hand zum Gruß und bahnte mir durch die zahlreichen Mittagsgäste den Weg zu ihrem Tisch. Ich setzte mich auf den Platz ihr gegenüber und schob meine Tasche unter den Stuhl. »Hallo, Tasha.«
    Einen Moment lang musterten wir uns gegenseitig. Auf der High School hatte ich mich in Biologie mit Mendels roten und weißen Erbsenblüten beschäftigt; mit dem Kreuzen von Farben und dem sich daraus ergebenden Muster der »Nachkommenschaft«. Genau dieses Prinzip war auch hier am Werk.
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