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Götter der Nacht

Titel: Götter der Nacht
Autoren: Pierre Grimbert
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geht.«
    »Ich«, sagte Yan heiser.
    Die anderen fuhren herum. Der junge Mann hatte seit einigen Dekanten geschwiegen. Niemandem kam es in den Sinn, gegen seinen Vorschlag zu protestieren.
    »Gut. Die anderen können gehen.«
    Nach einem letzten Blick auf ihren reglos daliegenden Freund verließen die Gefährten einer nach dem anderen die Kajüte der Othenor. Sie legten Grigáns Schicksal in die Hände eines Unbekannten, doch es blieb ihnen keine andere Wahl.

    Kurz bevor sie hinausging, beugte sich Léti an das Ohr des Rominers. »Wenn er stirbt, ist das allein Eure Schuld«, flüsterte sie mit gepresster Stimme.
    Der Mann schloss die Tür hinter der jungen Kriegerin und schluckte vernehmlich. Als er sich umwandte, begegnete ihm der seltsame, leicht drohende Blick des einsilbigen Kaulaners, der ihm helfen sollte. Schaudernd machte er sich an die Arbeit und verwünschte die Fremden und ihre Fremdartigkeit.
     
     
     
    Corenn versuchte krampfhaft, nicht daran zu denken, was sich unter Deck abspielte. Also konzentrierte sie sich auf ein anderes Thema. Das Thema. Die Frage, die ihnen allen im Kopf herumspukte.
    Yan hatte noch nichts über sein Gespräch mit dem Gott Usul erzählt. Das Einzige, was er verraten hatte, war ein Name gewesen. Der Name des Anklägers. Der Name des Mannes, der die Züu auf die Erben angesetzt hatte. Der Name ihres Feindes: Saat.
    Seine Exzellenz Saat der Ökonom, der Gesandte des Kaiserreichs Goran. Er hatte nicht zu denen gehört, die vor einhundertachtzehn Jahren von der Reise auf die Insel Ji zurückgekehrt waren. So war es zumindest überliefert. Aber wie konnte es sein, dass ein Mann, der schon damals alt gewesen war, über ein Jahrhundert später noch lebte?
    Womöglich hatten auch Vez und Vanamel, die ebenfalls vermisst worden waren, die Reise überlebt. Ebenso wie Nol der Seltsame.
    Corenn rief sich das dreihundert Jahre alte Manuskript ins Gedächtnis, das sie bei Zarbone gefunden hatte. Es erwähnte einen gewissen Nol, vermutlich denselben, der ihre
Vorfahren in das Abenteuer geführt hatte. War dieser Mann unsterblich? War Saat es?
    Was befand sich hinter der Pforte?
    Corenn hoffte, dass Yan ihr einige dieser brennenden Fragen beantworten konnte. Dann erinnerte sie sich an Grigáns Schicksal, und ihre Miene verdüsterte sich.
    Sie waren nicht sehr viel klüger als zuvor. Corenn hatte vermutet, dass der Feind der Erben aus ihren eigenen Reihen stammte, und diese Vermutung hatte sich nun bewahrheitet. Sie wusste zwar vieles über die gegenwärtige Generation der Erben, aber sie hatte nicht die geringste Ahnung, wo sich Saat verstecken könnte - und damit nicht die geringste Möglichkeit, seine Pläne zu vereiteln.
    Was hatte er überhaupt vor? Angenommen, Saat war nicht in dem Tal hinter der Pforte auf Ji gestorben, sondern hatte es tatsächlich zuwege gebracht, ins Diesseits zurückzukehren: Warum verfolgte er die Erben? Sann er auf Rache? Wollte er ein Geheimnis bewahren? Hatte er vor irgendetwas Angst? Oder vielleicht alles zugleich?
    Woher nahm er seine übernatürlichen Kräfte? Corenn schauderte, als sie an die Drohungen zurückdachte, die die besessene Seherin auf der Versammlung der Fürsten der Kleinen Königreiche ausgestoßen hatte. Oder, noch schlimmer, an den Angriff des Dämons im Eroberten Schloss, der Séhane getötet hatte. Von einem so mächtigen Zauber hatte die Ratsfrau noch nie gehört. Hatten etwa die Götter ihre Hände im Spiel?
    Traf die Erben der göttliche Zorn?
     
     
     
    Yan verfolgte aufmerksam jede Bewegung des Rominers. Bis dahin hatte er Vi’at nur für bestechlich, herablassend
und engstirnig gehalten. Doch als er sah, mit welcher Sorgfalt der Mann Grigáns Verletzungen untersuchte, keimte die Hoffnung in ihm auf, dass er womöglich etwas von seinem Beruf verstand.
    Der Kaulaner wusste nichts über die modischen Gepflogenheiten der Rominer, staunte aber nicht wenig über die Aufmachung seines Gegenübers. Der Mann trug einen kleinen, flachen Hut, der lediglich aus zwei zusammengenähten Stofflagen bestand und mit einer dünnen Schnur unter dem Kinn festgebunden wurde. Schutz vor der Witterung bot diese Kopfbedeckung jedenfalls nicht, denn der Heiler war nass bis auf die Haut. Er legte den Hut auf einem Stuhl ab, genau wie seinen grünen, mit einem Rosenmuster bestickten Kaftan.
    Verwundert stellte Yan fest, dass auch sein übriges Gewand grün und mit Rosen bestickt war. In Romin pflegte man sich offenbar etwas exzentrisch zu kleiden. Neugierig,
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