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Glenraven

Glenraven

Titel: Glenraven
Autoren: Marion Zimmer Bradley
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Rücken. Sie war fast davon überzeugt, daß das Buch schuld daran war und daß sie nicht nur fröstelte, weil sie durchnäßt war und in einem alten, zugigen Haus saß, das man in ein Restaurant verwandelt hatte.
    Sie zog den Reiseführer heraus und betrachtete ihn.
    Glenraven.
    Glenraven? Sie sah sich den Titel an. Fodor’s Reiseführer für Glenraven . Die Überschrift war absolut klar - Buchstaben in Schwarz und Gold, in einer großen, fetten Schrift. Wie war sie nur darauf gekommen, daß dort Spanien stehen könnte?
    Glenraven. Sie hatte noch nie von einem Ort dieses Namens gehört. Sie blätterte durch den Reiseführer, betrachtete die Karte, die Glenraven zeigte - ein kleines Land zwischen Italien und Frankreich -, und blickte zu Jay. »Dort gibt es kein Land«, wollte sie eigentlich sagen. Aber aus ihrem Mund erklang: »Laß mich mitkommen. Ich könnte ein wenig Urlaub vertragen. Mitch muß sowieso auf irgend so einen Anwaltskongreß nach Washington.«
    Geschockt saß sie da und starrte auf Jay. Sie hatte das nicht gesagt… na ja, jedenfalls hatte sie das nicht gedacht. Die Worte waren einfach aus ihrem Mund gekommen… ganz ohne ihr Zutun. Einen Moment mal, dachte sie. Ich will nirgendwo hinfahren - und besonders nicht auf irgendeinen Auslandstrip mit Jay Bennington… aber sie nahm ihre Frage nicht zurück.
    »Mitkommen?« Jay war überrascht.
    Natürlich will ich nicht fahren. Mach dich nicht lächerlich, dachte Sophie… aber: »Ich muß mal etwas anderes unternehmen.« Sie erschauerte, als sie sich daran erinnerte, daß sie genau das gedacht hatte, bevor Jay anrief. »Ich brauche eine Veränderung.« In dem Augenblick, als die Wörter ihren Mund verließen, dachte sie: Wie kann ich mich nur auf so etwas einlassen? Wie kann ich glauben, ich könnte so etwas tun? Wie?
    Jayjay legte den Kopf zur Seite und stützte das Gesicht auf die Hand. »Du willst mitkommen? Wirklich?« Sie begann zu lächeln, und obwohl Sophie die ganze Zeit dachte, nein, um Himmels willen, ich will nicht, sagte ihr Jays Lächeln, daß ihr gar nichts anderes übrigblieb. »O Gott, Sophie, das ist das erste Positive, das du gesagt hast, seit… « Sie stockte, wurde rot und blickte hinunter auf ihren Kakao.
    … seit Karen gestorben war. Jay brauchte den Satz nicht zu beenden. Sophie wußte, wie er weiterging. Sie starrte aus dem Fenster, betrachtete den Regen und dachte an jenen Tag vor zwei Jahren, als sie durch die Hintertür gegangen war. Wie sie Karens stämmiges, kleines Morgan Horse auf der Weide gefunden hatte, zitternd und schnaufend. Es war verschwitzt gewesen, hatte noch das Zaumzeug angehabt und mit den Augen gerollt. Sie war rufend über das Feld gerannt, da sie wußte, daß Karen auf den Wegen jenseits der Weide ausgeritten war. Sophie fühlte immer noch die Erde unter ihren Füßen, roch immer noch die Zedernspäne auf dem Reitweg und den süßen Duft der Weinreben, die wild im ganzen Wald wuchsen.
    Als Sophie Karen endlich gefunden hatte, bewegte sie sich nicht und atmete schon eine ganze Weile nicht mehr. Nach Meinung des Arztes war sie sofort gestorben, als das Genick durch den Sturz direkt unterhalb des Schädels gebrochen war. Sophie und Mitch waren an jenem Abend noch einmal durch den Wald gegangen. Sie hatten verstehen wollen, was geschehen war. Karen war nicht gesprungen. Vielleicht war sie ein wenig galoppiert. Das war hier im Wald zwar nicht ganz ungefährlich, aber Sophie hatte die Reitwege immer gut in Schuß gehalten. Außerdem war Karen eine ausgesprochen vorsichtige Reiterin gewesen. Sie hatte das goldene Reiterabzeichen besessen. Zwölf Jahre alt. Ihr einziges Kind.
    Vorbei.
    Sophie nippte an ihrem lauwarmen Kakao und starrte wieder nach draußen. Der Regen war nicht schwächer geworden. Kein Regenbogen erschien, der ihr verkündete, daß der Zauber um den Tod ihrer Tochter gebrochen war und sie sich wieder um ihr eigenes Leben kümmern konnte.
    Das Leben geht weiter, sagte ihr jeder. Eines Tages wird wieder etwas anderes zählen. Das war eine allgemeine Weisheit. Aber in den letzten beiden Jahren hatte Sophie erkannt, daß diese allgemeinen Weisheiten keinen Wert besaßen. Das Leben ging überhaupt nicht weiter; es hielt an, war wie eingefroren, und das Herz in der Brust starb. Allerdings besaß es nicht genug Anstand, auch noch die Blutzufuhr einzustellen.
    Trotz alledem hatte Sophie sich freiwillig dazu bereit erklärt, mit Jay auf diese Reise zu gehen. Vielleicht war das wirklich das richtige für
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