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Glennkill: Ein Schafskrimmi

Glennkill: Ein Schafskrimmi

Titel: Glennkill: Ein Schafskrimmi
Autoren: Leonie Swann
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Lamm steckte seinen Kopf tief in Clouds Wolle, die anderen starrten betreten auf den Boden. Miss Maple seufzte.
    »Eine neue Frage für Mopple: Wer ist der Wolfsgeist? Und wo ist Tess?«
    Die Schafe sahen sich an. Wo war Tessy, Georges alte Schäferhündin, seine treuste Begleiterin, seine einzige Freundin, der sanftmütigste Schäferhund, von dem sie je gehütet worden waren?
     
    *
    Als die anderen eingeschlafen waren, fügte Miss Maple im Stillen noch eine weitere Frage hinzu. Sie hatte zu Ramses gesagt, dass sie nicht wusste, ob der Mörder blutige Hände hatte. Die Wahrheit war, dass sie nicht einmal wusste, ob er überhaupt Hände hatte. Sie hatte Georges Gesicht friedlich gefunden, etwas nach Guinness duftend und nach Tee, die Kleider rauchig, ein paar Blumen zwischen den Fingern. Es war ihr ein wenig seltsam vorgekommen, weil George sich für Blumen eigentlich nicht sonderlich interessiert hatte. Mehr für Gemüse.
    Aber sie hatte noch etwas gefunden, etwas, das sie bewog, mit ihrer Nase den blutigen Norwegerpulli ein wenig hochzuschieben. Dort, auf Georges bleichem Bauch, etwas oberhalb des Spateneinstichs, zeigte sich der Abdruck eines Schafshufes – ein einziger Abdruck und nicht mehr.

2
    Am nächsten Tag entdeckten die Schafe eine neue Welt, eine Welt ohne Schäfer und Schäferhund. Sie zögerten lange, bevor sie sich entschlossen, den Schuppen zu verlassen. Endlich wagten sie sich doch ins Freie, angeführt von Mopple the Whale, der Hunger hatte. Es war ein wunderschöner Morgen. Nachts waren Feen über das Gras getanzt und hatten Tausende von Wasserperlen zurückgelassen. Das Meer sah aus wie frisch geleckt, blau, klar und glatt, und am Himmel zeigten sich einige wollige Wölkchen. Der Legende nach waren diese Wolken Schafe, die eines Tages einfach über die Klippe hinausgewandert waren, auserwählte Schafe, die am Himmel weiterweideten und niemals geschoren wurden. In jedem Fall waren sie ein gutes Zeichen.
    Plötzlich ergriff die Schafe ein ungeheurer Übermut. Gestern hatten sie lange gestanden, mit vor Anspannung schmerzenden Sehnen, heute tobten sie wie Märzlämmer über die Wiese, galoppierten auf die Steilküste zu, stoppten kurz vor dem Abhang und jagten dann zurück zum Heuschuppen. Bald waren sie alle außer Atem.
    Dann hatte Mopple the Whale die Idee mit dem Gemüsegarten. Hinter dem Heuschuppen stand der Schäferwagen, ein holpriges Gefährt, mit dem George Glenn früher über Land gefahren war, mit einer anderen Schafherde. Heute bewahrte er dort einige Sachen auf. Manchmal verbrachte er auch die Nacht hier. Hinter dem Schäferwagen lag ein kleiner Gemüsegarten, den George angelegt hatte, mit Kopfsalat, Erbsen, Rettichwurzeln, Kresse, Tomaten, Endivien, Ranunkeln und ein bisschen Schnittlauch.
    Er hatte einen Zaun darum gezogen. Der Gemüsegarten lag zwar auf der Weide, aber er war den Schafen verboten. Dieses Verbot war hart für sie, vor allem deshalb, weil der Zaun allein kein wirkliches Problem darstellte. Aber der Zaun, das Verbot und Georges Wachsamkeit hatten bisher verhindert, dass sie das Gemüseparadies auf Schafsart abernteten. Jetzt war George gefallen und mit ihm das Verbot. Lane öffnete mit ihrer geschickten Schnauze den Riegel, Maude machte sich über die Ranunkeln her, Cloud über die Erbsen und Heide über die Tomaten. Nach wenigen Minuten war von den sauber angelegten Beeten nichts mehr übrig.
    Nach und nach wurde es still. Die Schafe blickten auf und schämten sich. Eines nach dem anderen trotteten sie zurück auf die Weide. Am Tor stand Othello, der sich an ihrem Überfall als Einziger nicht beteiligt hatte. Er gab Miss Maple ein Zeichen. Sie folgte ihm zur Rückseite des Schäferwagens, wo normalerweise der Spaten lehnte, mit dem George im Gemüsegarten für Ordnung sorgte. Doch heute gab es dort nur eine weiß getünchte Wand zu sehen, und ein paar Fliegen, die sich sonnten. Othello blickte Miss Maple forschend an.
    Miss Maple blickte nachdenklich zurück.
    Den restlichen Vormittag verbrachten die Schafe damit, zu bereuen. Mopple hatte mit dem Salat so viele Schnecken gefressen, dass ihm schlecht war; ein Lamm hatte sich ein spitzes Holzstück in den Huf getreten und hinkte. Sie dachten an George.
    »Er wäre sehr böse geworden«, sagte Ritchfield.
    »Er könnte den Huf heilen«, sagte Cloud.
    »Er hat uns Geschichten vorgelesen«, sagte Cordelia.
    Das war wahr. George verbrachte viel Zeit auf der Weide. Frühmorgens tauchte er auf, wenn sie noch ihren dicht
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