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Gilgamesch - Der Untergang

Gilgamesch - Der Untergang

Titel: Gilgamesch - Der Untergang
Autoren: Andreas Geist
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nur dort zu Ende bringen können, was vor so langer Zeit begonnen hat. Wir werden einem Mann begegnen, den wir ein Stück seines Weges begleiten müssen, damit er spürt, dass er nicht alleine ist. Was meinst Du?“
    Carolin küsste ihn zärtlich.
    „Wir besprechen es mit den Kindern, wie sich das für eine anständige Familie gehört“.
    „Nein, ich möchte vor allem, dass Du glücklich bist. Und wenn Du Angst vor diesem Ort hast, dann storniere ich die Reise“.
    Christopher schaute sie zerknirscht an, doch in seinen Augen blitzte der alte Schelm, den sie immer in ihm geliebt hatte.
    „Ach zum Teufel mit der Angst“. Sie lachte.
    „Meine Zustimmung hast Du, und die Kinder werden in Freudengeschrei ausbrechen“.

Epilog
     
    An diesem Ort hatte die Geschichte vor über tausend Jahren ihren Anfang genommen, doch eigentlich reichte ihr Ursprung in eine dunkle Vergangenheit zurück, in der das Mahlwerk der Zeit zu seinem ersten Umlauf in Gang gesetzt worden war.
    Er empfand große Achtung für den Mann, der zur Wintersonnenwende des Jahres 1006 der christlichen Zeitrechnung mit seinem winzigen Floß von hier aufgebrochen war, um seinem einsamen Tod zu begegnen.
    Christopher und Carolin standen nur wenige Schritte von ihm entfernt. Was sie voneinander trennte, war die Zeit, und deren Verständnis hatte sich am letzten Tag des Äonenkalenders, dem Tag 13.0.0.0.0, für immer verändert.
    Nun standen sie beide mit den Schuhen in der Hand eng umschlungen barfuß am Strand wie ein altes Liebespaar und betrachteten verzaubert die ovale, goldene Scheibe der Morgensonne, die sich am Horizont über dem Golf von Mexiko erhob.
    Carolin und Christopher waren mit dem ersten Bus von der Küste im Süden hierher nach Tulum gefahren. Die Kinder hatten sie in der kleinen Ferienanlage zurückgelassen, weil sie lieber im Pool planschen wollten, als sich auf die staubige Fahrt an einen Ort zu begeben, der für sie lediglich aus den Ruinen einer ihnen unbekannten Vergangenheit bestand.
    Ein Einheimischer auf dem Dorfmarkt hatte Carolin ein einfaches Schmuckstück um den Hals gelegt. Sein warmherziges Lächeln hatte sie auf seltsame Weise berührt, ja es war so, als wäre sie ihm schon einmal begegnet. Er wollte kein Geld dafür nehmen und war plötzlich und spurlos in der Menschenmenge verschwunden.
    An der einfachen, geflochtenen Schnur hing eine einzelne Kolibrifeder. In der Vorstellungswelt der Völker Mittelamerikas war das Amulett Namensgeber für den, der es trug, und dieser Name, Kolibrifeder, hatte etwas Magisches. Er fühlte sich einfach richtig an, ohne dass Carolin das Gefühl näher beschreiben konnte.
    Die Zeitlosigkeit des Ortes, an dem sie beide nun standen, war mit Händen greifbar. Christopher grub seine nackten Füße in den feinen weißen Sand, der seit Jahrtausenden diesen ungewöhnlichen Strand geprägt hatte. Seine Narben an Händen und Füßen würden die Erinnerung wach halten gegen das Vergessen.
    Gegen dieses Vergessen hatten die Hochkulturen Mittelamerikas ihre ausgefeilten Kalendersysteme erdacht.
    Da war den weltlichen Haab Kalender für Aussaat und Ernte. Er unterteilte das Sonnenjahr in achtzehn Monate zu zwanzig Tagen. Darauf folgten die fünf unglücklichen Tage des kurzen Monats, den sie Uayab nannten, bevor das neue Jahr nach dreihundertfünfundsechzig Tagen begann.
    Da gab es die allen mittelamerikanischen Völkern gemeinsame rituelle Kalenderzählung des Tzolkin als Kombination aus einer Zahl zwischen eins und vierzehn und einem aus zwanzig Namen, sodass sich die erste Wiederholung nach einer Periode von vierzehn mal zwanzig, also zweihundertachtzig Tagen ergab.
    Und schließlich gab es den geheimnisvollen Äonenkalender der langen Zählung, der auf Vielfachen von zwanzig eines Jahres basierte, das Tun genannt wurde. Ein Tun umfasste achtzehn Uinal, entsprechend den Monaten, zu zwanzig Kin oder Tagen. Zwanzig Jahre ergaben ein Katun und zwanzig Katun wiederum ein Baktun.
    Die Zahl zwanzig spielte eine zentrale Rolle in der Vorstellungswelt der alten Völker Mesoamerikas, und als Christopher auf seine nackten Füße hinuntersah, musste er über die einfache Weisheit lächeln, die darin lag. Das scheinbar überlegene Dezimalzahlensystem seiner Welt war in Wirklichkeit ein Armutszeugnis all der Menschen, die den Kontakt zu Mutter Erde verloren hatten, weil sie Schuhe trugen und ihre Zehen nicht mehr sehen konnten.
    Die Historiker hatten sich darauf geeinigt, die einzelnen Stellen der langen
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