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Gilbert, Elizabeth

Gilbert, Elizabeth

Titel: Gilbert, Elizabeth
Autoren: Love Pray Eat
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Und wenn ich es auch
bedauere, dich noch nie direkt angesprochen zu haben, so hoffe ich doch, dass
ich dir gegenüber stets dankbar war für all die Segnungen, die du mir bisher
hast zuteil werden lassen.«
    Als ich daran dachte, musste ich noch heftiger schluchzen.
Gott wartete, bis ich fertig war. Ich riss mich so weit zusammen, dass ich
fortfahren konnte: »Ich bin, wie du weißt, keine Expertin in Sachen Gebet.
Aber könntest du mir bitte helfen? Ich brauche ganz dringend Hilfe. Ich weiß
nicht, was ich tun soll. Ich brauche eine Antwort. Bitte sag mir, was ich tun
soll. Bitte sag mir, was ich tun soll...«
    Und so verengte sich das Gebet auf diese schlichte Bitte - bitte sag mir, was ich tun soll-, die ich
unablässig wiederholte. Ich weiß nicht mehr, wie viele Male ich so drängte.
Ich weiß nur, dass ich insistierte wie jemand, der um sein Leben bettelt. Und
die Heulerei nahm kein Ende.
    Bis sie - ganz plötzlich - aufhörte.
    Ganz plötzlich merkte ich, dass ich nicht mehr weinte. Ich
hatte tatsächlich mitten in einem Schluchzer aufgehört. Mein Elend war restlos
aus mir herausgesaugt worden. Ich löste die Stirn vom Boden, setzte mich
überrascht auf und fragte mich, ob ich jetzt das mächtige Wesen zu Gesicht
bekäme, das meine Tränen getrocknet hatte. Aber da war niemand. Ich war einfach
nur allein. Und doch nicht wirklich allein. Um mich herum war etwas, was ich
nur als kleine Blase der Stille beschreiben kann - eine Stille, die etwas so
Besonderes war, dass ich aus Angst, sie zu verscheuchen, nicht einmal ausatmen
wollte. Ich war ganz ruhig. Ich weiß nicht, ob ich überhaupt schon einmal so
ruhig gewesen bin.
    Dann hörte ich eine Stimme. Bitte nicht erschrecken - es
war weder eine alttestamentarische Charlton-Heston-Hollywood-Stimme noch eine,
die mir sagte, ich müsse in meinem Hinterhof ein Baseballfeld anlegen. Es war
nur meine eigene Stimme, die aus meinem tiefsten Innern sprach. Aber so hatte
ich meine Stimme noch nie gehört. Es war meine Stimme, aber sie klang absolut
weise, gelassen und sehr mitfühlend. So würde meine Stimme klingen, wenn ich in
meinem ganzen Leben nichts als Liebe und Gewissheiten erfahren hätte. Wie soll
ich die Wärme und Zärtlichkeit dieser Stimme beschreiben, da sie mir ja die
Antwort gab, die meinen Glauben ans Göttliche für immer besiegeln sollte?
    Die Stimme sagte: Geh wieder ins Bett, Liz.
    Ich atmete aus.
    Es war so unmittelbar einleuchtend, es war das Einzige,
was ich tun konnte. Eine andere Antwort hätte ich nicht akzeptiert. Einer
dröhnenden Stimme, die entweder von mir verlangte, Du musst
dich scheiden lassen! oder Du darfst
dich nicht scheiden lassen!, hätte ich nicht getraut. Weil das
keine echte Weisheit ist. Echte Weisheit gibt in jedem Moment die einzig
denkbare Antwort, und in jener Nacht war die Aufforderung zur Rückkehr ins Bett
die einzig mögliche Antwort. Geh wieder ins Bett, sagte
diese allwissende innere Stimme, weil du um drei Uhr früh an einem
Dienstagmorgen im November nicht die endgültige Antwort wissen musst. Geh wieder
ins Bett, weil ich dich liebe. Geh wieder
ins Bett, weil das Einzige, was dir momentan Not tut, darin besteht,
dich auszuruhen und gut auf dich aufzupassen, bis du die Antwort weißt. Geh wieder
ins Bett, damit du, wenn der Sturm losbricht, stark genug bist, ihm
die Stirn zu bieten. Und der Sturm kommt, meine Liebe. Schon bald. Aber nicht
heute Nacht. Und deswegen: Geh wieder ins Bett, Liz.
    Zwar besitzt diese Episode alle Kennzeichen des typischen
christlichen Bekehrungserlebnisses - die dunkle Nacht der Seele, den Hilferuf,
die antwortende Stimme, das Gefühl der Verwandlung. Aber ich würde nicht sagen,
dass es eine religiöse Bekehrung für mich
war, nicht in der üblichen Weise des Wiedergeboren- oder Gerettetwerdens.
Vielmehr würde ich das, was in dieser Nacht geschah, als den Anfang eines
religiösen Gesprächs bezeichnen. Die ersten Worte eines
offenen und sondierenden Dialogs, der mich Gott zuletzt dann doch sehr nahe
bringen sollte.
     
    5
     
    Hätte ich irgendwie ahnen können, dass alles - wie die
Schauspielerin Lily Tomlin einmal gesagt hat - erst sehr viel schlimmer wird,
ehe es schlimmer wird, dann weiß ich nicht, wie gut ich in jener Nacht
geschlafen hätte. Aber sieben sehr schwierige Monate später verließ ich
tatsächlich meinen Mann. Als ich mich endlich zu der Entscheidung durchrang,
dachte ich, nun sei das Schlimmste vorüber. Was nur zeigt, wie wenig ich von
Scheidung verstand.
    In der
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