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Gilbert, Elizabeth

Gilbert, Elizabeth

Titel: Gilbert, Elizabeth
Autoren: Love Pray Eat
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wichtigsten Orte der
Welt. Als ich vor zwei Jahren zum ersten Mal auf Bali war, hatte ich sie allein
besucht. Es war während jener Reise, bei der ich im Auftrag einer Zeitschrift
über Yogaferien schrieb, und ich hatte gerade zwei Wochen ungeheuer aufbauenden
Yogaunterricht hinter mir. Ich beschloss, nachdem der Auftrag erledigt war,
meinen Aufenthalt in Indonesien zu verlängern. Eigentlich wollte ich nur einen
abgeschiedenen Ort finden und mir zehn Tage Einsamkeit und Stille gönnen.
    Blicke ich auf die vier Jahre zurück, die seit dem Tag, an
dem meine Ehe zu zerbrechen begann, bis zu dem Tag, als ich endlich geschieden
wurde, verstrichen sind, so habe ich eine ausführliche Schmerzenschronik vor
Augen. Und der Moment, als ich allein auf diese winzige Insel kam, war der
schlimmste meiner gesamten düsteren Reise durch das Tal der Tränen. Ich hatte
beschlossen - indem ich dem Befehl meiner Meisterin, auf die Lehre der Stille
zu lauschen, gehorchte -, mein kaputtes Leben und mein gebrochenes Herz
dorthin zu bringen und den Versuch zu machen, beides zu heilen. Mein Inneres
war ein Schlachtfeld widerstreitender Dämonen. Und meinen einander bekriegenden
Gefühlen und Gedanken sagte ich: »Passt auf, Leute, wir sind hier ganz auf uns
zurückgeworfen. Und entweder einigen wir uns auf irgendetwas, oder aber wir
gehen früher oder später alle gemeinsam zugrunde.«
    Als ich auf dem winzigen Fischerboot zu der stillen Insel
hinübersegelte und wusste, dass ich zehn Tage allein sein und schweigen würde,
hatte ich Angst wie nie zuvor in meinem Leben. Nicht einmal Bücher hatte ich
mitgenommen, nichts, was mich hätte ablenken können. Vor Angst schlotterten mir
buchstäblich die Knie.
    Für ein paar Dollar am Tag mietete ich mir eine kleine
Strandhütte, presste die Lippen zusammen und gelobte, den Mund erst dann wieder
zu öffnen, wenn sich etwas verändert hatte. Gili Meno war meine letzte Chance
auf Wahrheit und Versöhnung. Mein letzter Versuch, mich an den eigenen Haaren
aus dem Treibsand zu ziehen. Dass ich für dieses Vorhaben den richtigen Ort
gewählt hatte, dessen war ich mir sicher. Die Insel ist winzig klein,
unberührt, nichts als Sand, blaues Meer und Palmen. Das gesamte Eiland lässt
sich in einem etwa einstündigen Fußmarsch umrunden. Da es fast am Äquator
liegt, gleicht ein Tag dem anderen. Morgens um halb sieben geht auf der einen
Inselseite die Sonne auf und um halb sieben abends auf der anderen wieder
unter. Bewohnt wird Gili Meno von einer Hand voll muslimischer Fischer und
ihren Familien - armen, aber liebenswürdigen Menschen. Auf der ganzen Insel
gibt es keinen Flecken, von dem aus man den Ozean nicht hören würde.
Motorisierte Transportmittel fehlen; die Fischer bewegen sich zu Fuß, auf
Booten, in kleinen Ponywagen fort. Elektrizität wird mit einem Generator
erzeugt, und das lediglich in den Abendstunden. Gili Meno ist der ruhigste
Ort, den ich kenne.
    Jeden Morgen bei Sonnenaufgang umrundete ich die Insel und
tat es bei Sonnenuntergang ein zweites Mal. Die ganze übrige Zeit beobachtete
ich nur. Beobachtete meine Gedanken, meine Gefühle, die Fischer. Alles Leid
eines Menschenlebens, behaupten die yogischen Weisen, werde durch Worte
verursacht, ebenso wie alle Freude. Wir schaffen Worte, um unsere Erfahrung
wiederzugeben, und diese Worte sind von Gefühlen begleitet, die uns
herumzerren, als seien wir Marionetten. Die Weisen nutzen Worte und Ideen zur
Erweiterung ihres Bewusstseins, die meisten von uns aber errichten sich
daraus nur Gefängnisse, die uns in einem ständigen Schrumpfungsprozess
festhalten. Von unseren eigenen Mantras (Ich bin ein Versager ... Ich bin
einsam ... Ich bin ein Versager ... Ich bin einsam) verführt,
werden wir zu Denkmälern dieser Worte. Eine Weile nicht zu reden ist daher ein
Versuch, die Worte zu entmachten, uns nicht mehr durch Worte - seien es die
eigenen oder fremde - zu sabotieren und zu zerstreuen.
    Ich brauchte eine Weile, um in das wirkliche Schweigen
einzutauchen. Auch nachdem ich das Sprechen aufgegeben hatte, summten noch
tagelang die Worte in mir. Noch lange, nachdem ich das Reden eingestellt hatte,
vibrierten meine Organe - Gehirn, Kehlkopf, Brust, Nacken - von den Nachwirkungen.
Im Nachhall der Worte tanzte mein Kopf einen Shimmy, so wie ein Hallenbad ewig
vom Echo der Geräusche und Schreie widerzuhallen scheint - obwohl die Kinder
schon längst nach Hause gegangen sind. Es dauerte überraschend lange, bis das
Pulsieren nachließ, bis die
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