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Gilbert, Elizabeth

Gilbert, Elizabeth

Titel: Gilbert, Elizabeth
Autoren: Love Pray Eat
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Geschäft machen will? Hör zu, der
Bursche will ihr ganz dringend ein kleines Stück Land verkaufen; er hat es ja
schon gesagt. Sie aber will jetzt das ganze Land. Und sie will, dass du es für
sie kaufst.«
    Mich schaudert - aus zwei Gründen. Zunächst einmal hasse
ich den Gedanken, dass Wayan heimtückisch sein könnte. Zweitens hasse ich die
in seinen Worten enthaltenen kulturellen Implikationen, den kolonialistischen
Mief, dieses gönnerhafte »So-sind-diese-Leute-eben«.
    Aber Felipe ist kein Kolonialist; er ist Brasilianer. »Hör
zu«, erklärt er mir, »ich bin in Südamerika in armen Verhältnissen
aufgewachsen. Meinst du, ich begreife die Kultur der Armut nicht? Du hast Wayan
mehr Geld gegeben, als sie in ihrem ganzen Leben gesehen hat, und jetzt dreht
sie durch. Was sie betrifft, bist du ihre wundertätige Gönnerin, und das hier
könnte ihre letzte Chance sein, ihrem Leben die entscheidende Wende zu geben.
Also versucht sie, vor deiner Abreise noch so viel wie möglich herauszuholen.
Vor vier Monaten hatte die arme Frau nicht einmal genug Geld, um ihrem Kind
etwas zu essen zu kaufen, und jetzt will sie ein Hotel.«
    »Was soll ich tun?«
    »Ärgere dich nicht. Wenn du dich ärgerst, verlierst du
sie, und das wäre jammerschade, denn sie ist eine wunderbare Person, und sie
liebt dich. Es ist ihre Überlebenstechnik, akzeptiere einfach. Denk nicht
schlecht von ihr oder dass sie und die Kinder nicht wirklich deine Hilfe
brauchen. Aber lass auch nicht zu, dass sie dich ausnutzt. Ich hab das schon so
oft erlebt, Darling. Die Westler, die schon lange hier leben, enden in der
Regel in einem von zwei Lagern. Die einen spielen weiterhin Tourist, schwärmen:
>Oh, diese Balinesen, wie bezaubernd sie sind, wie freundlich ...<, und
lassen sich ausnehmen wie Weihnachtsgänse. Die anderen sind durch die ständige
Abzocke irgendwann so frustriert, dass sie anfangen, die Balinesen zu hassen.
Und das ist schade, weil man dann all diese wunderbaren Freunde verliert.«
    »Aber was soll ich tun?«
    »Du musst die Situation wieder in den Griff bekommen. Du
musst ihr ein bisschen Angst einjagen. Spiel ein Spielchen mit ihr, so wie sie
es mit dir macht. Droh ihr etwas an, das sie zum Handeln zwingt. Du tust ihr
einen Gefallen damit; sie braucht eine Wohnung.«
    »Ich will keine Spielchen spielen, Felipe.«
    Er küsst mich auf den Scheitel. »Dann kannst du nicht hier
leben, Darling.«
    Am nächsten Morgen lege ich mir meinen Plan zurecht. Es
ist nicht zu fassen - nach einjährigem Bemühen um Tugend und Ehrlichkeit bin
ich jetzt dabei, mir eine faustdicke Lüge auszudenken. Stehe im Begriff, meine
beste Freundin hier, die wie eine Schwester für mich ist, einen Menschen, der
mir die Nieren gereinigt hat, zu beschwindeln. Um
Himmels willen, ich werde Tuttis Mammi belügen!
    Ich spaziere in die Stadt und betrete Wayans Laden. Wayan
will mich umarmen. Doch ich weiche zurück und spiele die Verärgerte.
    »Wayan«, sage ich. »Wir müssen ein Wörtchen miteinander
reden. Ich habe ein ernstes Problem.«
    »Mit Felipe?« Sie ist besorgt.
    »Nein. Mit dir.«
    Sie sieht aus, als würde sie gleich in Ohnmacht fallen.
»Wayan«, sage ich. »Meine Freunde in Amerika sind sehr sauer auf dich.«
    »Auf mich? Warum, Süße?«
    »Weil sie dir vor drei Monaten eine Menge Geld geschenkt
haben, damit du ein Haus kaufst, und du hast immer noch keins. Jeden Tag
schicken sie mir E-Mails und fragen mich: >Wo ist Wayans Haus? Wo ist mein
Geld?< Und jetzt glauben sie, dass du ihr Geld stiehlst und es für etwas
anderes verwendest.«
    »Ich stehle nicht!«
    »Wayan«, sage ich. »Meine Freunde in Amerika glauben, dass
du ein bullshit, eine Angeberin und Lügnerin,
bist.«
    Sie japst, als habe man ihr die Kehle zugedrückt. Sie
wirkt so verwundet, dass ich einen Augenblick fast versucht bin, sie beruhigend
in die Arme zu nehmen und zu sagen: »Nein, nein, ist gar nicht wahr! Ich hab
mir das nur ausgedacht!« Doch ich muss die Sache zu Ende bringen. Aber, mein
Gott, sie ist jetzt wirklich angeschlagen. Bullshit ist ein
Wort, das auch ins Balinesische Eingang gefunden hat. Jemanden als bullshit zu bezeichnen
ist eine der schlimmsten Beleidigungen, die man einem Balinesen an den Kopf
werfen kann. In einer Kultur, in der sich die Menschen schon vor dem Frühstück
ein Dutzend Mal über den Tisch ziehen, in der bullshitting ein Sport, eine Kunst, eine Gewohnheit und eine Überlebenstechnik
darstellt, ist es eine entsetzliche Sache, jemanden rundheraus
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