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Gilbert, Elizabeth

Gilbert, Elizabeth

Titel: Gilbert, Elizabeth
Autoren: Love Pray Eat
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gewickelt
war, dass sie einem Säugling glich. Diese Kokosnuss wurde ebenso wie das Baby
in heiliges Wasser getaucht und dann, ehe die Füße des Babys zum ersten Mal
die Erde berührten, auf den Boden gelegt; auf diese Weise sollten die Dämonen
genarrt werden, die nun das »falsche« Baby angriffen und das »echte« in Ruhe
ließen.
    Allerdings wurde, bevor die Füße des Säuglings tatsächlich
den Boden berührten, noch stundenlang gesungen. Ketut ließ seine Glocke ertönen,
chantete endlos seine Mantras, und die jungen Eltern strahlten vor Freude und
Stolz. Gäste kamen und gingen, sie schwatzten ein wenig, folgten eine Weile der
Zeremonie, brachten ihre Gaben dar und zogen dann weiter. Trotz der uralten
ritualistischen Förmlichkeit lief die Feier merkwürdig zwanglos ab. Die Mantras,
die Ketut für das Baby chantete, klangen so lieblich wie eine Mischung aus
dem Heiligen und dem Zärtlichen. Während die Mutter den Säugling hielt, wedelte
Ketut mit verschiedensten Dingen vor dessen Nase herum, mit Wasser, Blumen,
Früchten, Glöckchen, einem gebratenen Hühnerflügel, einem Stück
Schweinefleisch, einer geöffneten Kokosnuss, und sang der Kleinen etwas vor.
Und das Baby lachte vor Vergnügen und klatschte in die Hände, und Ketut lachte
ebenfalls und sang weiter.
    Und Folgendes könnte er gesungen haben: »Oh, kleiner
Spatz, das ist ein Brathühnchen für dich! Eines Tages wirst du Brathühnchen
lieben, und wir hoffen, dass du viele davon zu essen bekommst! Oh, kleiner
Fratz, das ist ein Batzen gekochter Reis, mögest du immer Reis haben, so viel
dein Herz begehrt, mögest du damit überschüttet werden. Oh, kleiner Spatz, das
ist eine Kokosnuss. Sieht sie nicht lustig aus, diese Kokosnuss? Eines Tages
wirst du viele, viele Kokosnüsse essen! Oh, kleiner Spatz, das ist deine
Familie, siehst du nicht, wie dich alle vergöttern! Oh, kleiner Spatz, du
Schatz des ganzen Universums! Unsere Einser-Schülerin! Unser putziges Häschen!
Du bist ein schnuckliges Klümpchen aus weichem Wachs! Oh, little
baby, du bist der Sultan des Swing, du süßes, süßes Ding ...«
    Immer wieder wurden alle Anwesenden mit in heiliges Wasser
getunkten Blütenblättern gesegnet. Die ganze Familie wechselte sich darin ab,
die Kleine herumzureichen und ihr etwas vorzugurren, während Ketut die uralten Mantras
rezitierte. Sogar ich - in meinen Jeans - durfte das Baby eine Zeit lang halten
und flüsterte ihm, während alle sangen, meine persönlichen Segenswünsche zu.
Es war brütend heiß - sogar im Schatten. Die junge Mutter, in ihrem sexy
Bustier unter der Seidenbluse, schwitzte. Ebenso der junge Vater, der keinen
anderen Gesichtsausdruck draufzuhaben schien als dieses enorm stolze Grinsen.
Die diversen Großmütter fächelten sich Luft zu, wurden müde, setzten sich hin,
standen wieder auf, fummelten an den gebratenen Opferschweinchen herum,
verscheuchten Hunde. Alle wirkten abwechselnd interessiert, desinteressiert,
müde, heiter, ernst. Doch Ketut und das Baby schienen wie gefangen in ihrer
gemeinsamen Erfahrung, wie gefesselt voneinander. Den ganzen Tag lang wandte
die Kleine keinen Blick von dem alten Mann. Wer hat je von einem sechs Monate
alten Kind gehört, das vier geschlagene Stunden in brütender Hitze weder weint
noch quengelt, weder schläft noch lacht, sondern nur neugierig einen anderen
Menschen betrachtet?
    Ketut machte seine Sache gut, das Baby nicht minder.
Während der Verwandlungszeremonie, ihrer »Menschwerdung«, war die Kleine voll
präsent. Und erledigte ihre Pflichten mit Bravour, war schon jetzt ein braves
balinesisches Mädchen, durchdrungen von Ritualen, voller Glaubenszuversicht,
fügte sich in die Zwänge ihrer Kultur.
    Als das Singen vorbei war, hüllte man die Kleine in ein
langes sauberes weißes Tuch, das weit über ihre kurzen Beinchen hinabhing, so
dass sie groß und königlich wirkte. Ketut zeichnete die vier Richtungen des
Universums auf den Boden einer Keramikschale, füllte die Schale mit heiligem
Wasser und stellte sie auf den Boden. Dieser handgezeichnete Kompass markierte
den heiligen Flecken Erde, den die Füße des Babys als Erstes berühren sollten.
    Dann versammelte sich die ganze Familie um das Kind, alle
schienen es gleichzeitig zu halten, und - hopp! - tauchten sie seine Füße in
die Schale heiligen Wassers, direkt über der magischen Zeichnung, welche das
gesamte Universum umfasste, und tupften dann zum ersten Mal seine Sohlen auf
die Erde. Als sie die Kleine wieder in die Luft
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