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Giftspur

Giftspur

Titel: Giftspur
Autoren: Daniel Holbe
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Netzempfang?
    Nach Sabines Einschätzung lag es eher daran, dass sie seit Stunden keinen Funkmast mehr wahrgenommen hatte – ein weißes, rundes Funkfeuer für Verkehrsmaschinen, welches das bärbeißige Volumenwunder ihr von oben gezeigt hatte, einmal außer Acht gelassen.
    Die Nachricht stammte von einem ihrer neuen Kollegen, der sie mit einer Wahrscheinlichkeit von neunzig Prozent von neuen Entwicklungen im sogenannten Ballermann-Fall in Kenntnis setzen wollte. Mit Mallorca, derzeit unvorstellbare sechzehn Grad warm und mit einer beneidenswerten Sonnenscheindauer, hatte der Fall leider nichts gemein. Vielmehr rührte der Name daher, dass vorgestern, in der Nacht von Freitag auf Samstag, in der Innenstadt Bad Vilbels Schüsse gefallen waren. Es gab unzählige Zeugenaussagen, doch diese waren von Vorurteilen und inhaltlichen Diskrepanzen derart zersetzt, dass sie zu keiner brauchbaren Täterbeschreibung führten.
    Je tiefer man bohrte und je länger man fragte, desto mehr kristallisierte sich heraus, dass es sich um zwei bis vier Jugendliche gehandelt hatte. Im Zweifelsfall waren es immer Jugendliche, die für störenden Lärm verantwortlich waren. Dunkelhaarig, versteht sich, mit südosteuropäischem Akzent. Auch eine schwarze Pistole wollte jemand zweifelsfrei erkannt haben. Oder eine Schrotflinte. Oder eine Kalaschnikow. Man musste nur lange genug fragen.
    Trotz der räumlichen Nähe zu Frankfurt wies Bad Vilbel eine eher überschaubare Kriminalitätsrate auf. Innerhalb des Wetteraukreises lag sie dennoch relativ weit oben, und die Aufklärungsquote ließ Wünsche offen, das Kreuz, wenn man so nahe an der statistisch betrachtet kriminellsten Stadt Deutschlands lag. Es gab vergleichsweise wenige Gewaltdelikte, aber wenn es zu einem besonders unschönen Szenario kam, durchflutete eine Welle der Empörung die Stadt. Der letzte Mord hatte sich nur wenige Gehminuten von Sabines Wohnung in der Heilsbergsiedlung zugetragen. Ein zurückgezogen lebender Mann, seit vielen Jahren geschieden, Frührentner mit neunundfünfzig Jahren. Seine Eltern waren 1946 aus dem Sudetenland vertrieben worden und gemeinsam mit etlichen anderen auf der südlichen Anhöhe Bad Vilbels sesshaft geworden. Diese alte Generation starb nun nach und nach aus. Enkel hatte der Mann keine, und lediglich eine Putzfrau kam dreimal die Woche, um Wäsche zu waschen und die Wohnung zu putzen. Ironie des Schicksals, denn sie stammte aus Tschechien, aber das war zwischen den beiden nie Thema gewesen. Der Mann interessierte sich weder für seine Herkunft noch für Politik, noch ging er aus.
    Es war ebenjene Putzfrau, die ihn schließlich aufgefunden hatte, letzten Donnerstag, am unteren Ende seiner Kellertreppe. Sie hatte sich noch gewundert über die ausgekühlte Wohnung, was daran lag, dass die Terrassentür sperrangelweit offen stand. Vermutlich hatte sie deshalb auch nicht den verräterischen Leichengeruch wahrgenommen, denn durch die ebenfalls geöffnete Flurtür hatte die gesamte Wohnung arktische Temperaturen angenommen. Verzweifelt hielten die alten Rippenheizkörper dagegen, und der Brenner lief auf Hochtouren. Eine Klimakatastrophe im Kleinen. Die Putzfrau war mit dem Wäschekorb vor der Brust hinabgestiegen und wäre beinahe über den ausgestreckten Fuß ihres Arbeitgebers gestolpert. Ein spitzer Schrei, die herabfallende Wäsche begrub den halben Körper unter sich, dann schwanden ihr die Sinne. Für die Spurensicherung war es eine Katastrophe, denn die Frau hatte ihrem ureigenen Trieb nachgegeben und das Haus in Ordnung gebracht, bis jemand eintraf. Umso leichter war es für die Rechtsmedizin. Schlag auf den Kopf, diverse Frakturen vom Sturz treppabwärts inklusive ausgeschlagener Schneidezähne und zu guter Letzt Genickbruch. In dieser Reihenfolge.
    Wegen des prämortalen Schlages auf die Schädeldecke musste man von einem Tötungsdelikt ausgehen, ausgeführt durch einen mutmaßlich hölzernen Gegenstand, vermutlich ein Baseballschläger. Die Befragten zeigten sich zunächst bestürzt angesichts dieser kaltblütigen Gewalt. Doch sie ertrugen es mit Fassung. Man lebte nun einmal in Frankfurts düsterem Schatten.
    Jener bösen Stadt, deren Übel viel zu oft über den Hügel schwappte.

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    Montag, 18 . Februar 2013
    S abine Kaufmann betrat das Büro pünktlich um acht, wie sie es gewohnt war. Das Wochenende war viel zu schnell vergangen. Nach ihrem Ausflug in den Vogelsberg, dem ursprünglich ein abendlicher Bummel mit ihrer Mutter Hedwig
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