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Gier

Gier

Titel: Gier
Autoren: Arne Dahl
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schnell, wie die letzten Sandkörner in einem Stundenglas herunterrinnen, und dennoch kommt es ihr ziemlich langsam vor. Alles geschieht extrem langsam. Wie in Zeitlupe.
    Sie sieht ihre eigene verzweifelt winkende Hand sich bewegen wie in einem durchsichtigen Gelee oder als befände sie sich auf dem Mond. Umgeben von einer ätherischen, beschaulichen Langsamkeit. Ein Walzer im Universum.
    Die Limousine nähert sich ruckartig. Wie die Filme auf YouTube, wenn sie noch nicht vollständig geladen sind. Langsam und in gewisser Weise Stück für Stück.
    Und fährt vorbei.
    Die Limousine fährt an ihrer von Gelee umschlossenen Hand vorbei.
    Steht sie womöglich doch an der falschen Stelle?
    Hat sie sich derart getäuscht?
    Dann scheint es, als würde die Limousine einige Meter weiter doch noch stehen bleiben. Eine unerwartete Hoffnung erfüllt sie.
    Hoffnung.
    Sie hört die Bremsgeräusche ganz deutlich.
    Aber sie kommen aus der falschen Richtung.
    In dem Moment begreift sie es.
    Sie lässt die Hand sinken, und die Welt wird zu einem Stillleben.
    Der Schwitzende steht zwei Reihen von der Straße entfernt, als die Limousine vorbeifährt. Sie fährt tatsächlich vorbei, hält nicht an. Er zwängt sich zwischen die vorn stehenden laut brüllenden Aktivisten und schaut ihr nach. Sie muss jeden Moment anhalten.
    Sie muss.
    Doch bereits in dem Moment, als die Limousine vorbeifuhr, begriff er es. Ihm ist klar geworden, dass sie nicht anhalten würde. Jetzt passiert sie die Absperrungen und fährt weiter hinunter in Richtung des ExCeL Exhibition Centre.
    Er schaut ihr hinterher und schwitzt.
    Und lässt die Hoffnung fahren.
    Doch plötzlich weigert er sich, aufzugeben. Gewiss, er hatte all seine Hoffnung in das gesetzt, was gerade nicht eintraf, aber er will dennoch nicht aufgeben. Irgendetwas in ihm schaltet um auf Plan B. Es gibt zwar keinen Plan B, aber er entwickelt einen. In diesem Moment entwickelt er ihn.
    Er schaut sich um. Überall stehen sie, die Uniformierten und Kampfbereiten, aber sich an sie zu wenden wäre regelrecht dumm. Es sind keine Menschen, mit denen man reden kann. Er lässt seinen Blick hinüber zur anderen Straßenseite schweifen, wo weniger Leute stehen. Irgendetwas bewirkt, dass sein Blick an einer bestimmten Person hängen bleibt. Warum, weiß er nicht genau, aber er beschließt, mit dieser Person zu reden. Diesem Mann will er alles erzählen. Und der wird ihn verstehen.
    Er ist etwas größer als die anderen und beugt sich gerade zu einem Bereitschaftspolizisten hinunter, der in seine Papiere schaut. Er sagt etwas zu ihm. Und der Schwitzende begreift, dass der Mann Polizist ist, allerdings eine andere Art Polizist. Einer, dem der uniformierte Polizeibeamte nicht uneingeschränkt vertraut. Mit ihm muss er reden.
    Denn jetzt muss er es loswerden. Unbedingt. Jetzt muss es die Menschheit erfahren.
    Er heftet seinen Blick auf den groß gewachsenen Polizisten mit dem hellweißen Haar, schiebt sich unter der Absperrung hindurch und rennt quer über die Straße.
    Der Weißhaarige schaut auf, und ihre Blicke begegnen sich.
    Â»Mister Sadestatt?«, fragt der übereifrige Polizeibeamte der »Operation Glencoe« skeptisch und betrachtet den Ausweis durch seine Schutzmaske hindurch. Es gelingt ihm mit seinen dicken Handschuhen kaum, die Ausweispapiere festzuhalten.
    Â»Actually«, entgegnet der Beobachter mit so liebenswürdiger Stimme wie möglich, »I am Chief Inspector Arto Söderstedt. From Europol in Den Haag. I’m here as an observer.«
    Der Bereitschaftspolizist schüttelt den Kopf und mustert die eigentümlichen Ausweispapiere, die offenbar wichtiger sind als die Observierung der Demonstranten und die Bewachung der Route des Präsidenten der USA. Mit einer inneren Gereiztheit sieht Arto Söderstedt gerade noch die Limousine von Barack Obama hinter den Absperrungen verschwinden und in Richtung der grotesken Konferenzanlage hinunterfahren. Er verspürt eine gewisse Enttäuschung, weil die Twitter-Meldung ein Fake war. An dem Gerücht war nichts dran, vielleicht existierte es noch nicht einmal, vielleicht handelte es sich auch nur um einen dummen Witz. Doch er empfindet nicht nur Enttäuschung, sondern auch Erleichterung. Erleichterung darüber, dass der amerikanische Präsident nicht so dumm ist. Andernfalls hätte er ihn auch nicht für zukunftstauglich
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