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Gibraltar

Gibraltar

Titel: Gibraltar
Autoren: Sascha Reh
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wurde die Frau auf den Hund aufmerksam und gab den Weg frei. Schnell ging Thomas weiter und klopfte gegen seinen Oberschenkel. Sol Moscot folgte sofort.
    »Ich habe mich bei einer Agentur angemeldet«, fuhr Frau Sudek fort. »Die vermitteln Seitensprünge.« Sie ließ das letzte Wort in der Leitung nachzittern. »Ich wollte … ich weiß nicht. Ich war so wütend.«
    Er zog in Betracht, etwas Verständnisvolles zu sagen, über ihre Wut oder auch ihre Verzweiflung, dann entschied er sich dagegen. Sie lachte, wie über sich selbst.
    »So was haben Sie sicher noch nie gehört. Mein Mann hat auch gesagt –«
    »Entschuldigung«, sagte der Ratgeber. »Ihr Mann? Sie haben Ihrem Mann davon erzählt?«
    »Nein. Nein, habe ich nicht. Sie müssen mich ausreden lassen.«
    »Natürlich.«
    »Ich bin ins Hotel gegangen. Wir hatten uns vorher zwei E-Mails geschrieben, was jeder so macht, alles erfunden natürlich, und dann, welche Vorlieben man hat.« Frau Sudek, so hatte der Ratgeber inzwischen über sie gelernt, liebte es, derlei Vorgänge zu schildern. Genau genommen liebte sie die Schilderung jedweder Vorgänge; sie war eine versierte Erzählerin. Und doch missfiel ihm mehr und mehr ihre Weitschweifigkeit, seine Gedanken drifteten ab; und als ihm dies auffiel, deutete er die Drift nicht nur als ein Symptom gegen Frau Sudeks Weitschweifigkeit, sondern gegen das Anhören von Erzählungen ganz allgemein.
    »Ich weiß nicht, wie viele männliche Kunden dieses Portal hat und wie viele in Frankfurt wohnen und überhaupt zu meiner Anfrage passen, aber ich würde sagen, ein paar hundert, vielleicht sogar tausend. Von all diesen Männern haben sie zielsicher meinen eigenen ausgewählt. Mein Leben ist voll von solchen Wundern und Koinzidenzen. Glauben Sie an Zufälle? Ich glaube nicht an Zufälle. Bernhard saß auf der Bettkante, als würde er auf mich warten. Verstehen Sie? Auf   mich . Er trug den Anzug, den ich zu unserem zehnten Hochzeitstag für ihn habe schneidern lassen.«
    Thomas fuhr mit der Rolltreppe hinauf. Eine kaum wahrzunehmende Kühle durchzog den bisher sonnigen Tag, wie eine Warnung, sich bei allem, was man auch tat, niemals zu sicher zu sein.
    »Entschuldigung«, sagte er jetzt, »aber das klingt –«
    »Ja, es klingt un glaub lich, oder?«
    Wie eine jener Idealisierungen aus Ihrem Roman , hätte er sich beinahe zu sagen verstiegen, konnte sich aber rechtzeitig davon abbringen.
    Wieder entstand eine Pause, neben ihm bimmelte die Straßenbahn.
    »Sind Sie etwa draußen?«, fragte Frau Sudek.
    »Nein. Das Fenster ist offen. Das schöne Wetter.« Er schirmte das Mikrofon seines Headsets mit der Hand ab, bis die Straßenbahn vorbeigefahren war; gegen Spitzen wie das Bimmeln war der Limiter machtlos.
    Der Ratgeber betrieb einen gewissen Aufwand, um seine Kunden nicht wissen zu lassen, dass er sie unter freiem Himmel beriet. Gelkissen in seinen Sohlen dämpften die Erschütterungen in seiner Stimme; zudem regulierte er seinen Atem. Es war ein sonniger Tag, dies war Wien, er wollte gehen.
    »Bemerkenswert. Ich habe noch nie von einem ähnlichen Fall gehört.«
    »Jetzt wollen Sie mir bestimmt sagen, dass das was mit Fügung zu tun hat?«
    Er versuchte, ihren Vorschlag aufzugreifen und ihn zur Veranschaulichung seiner Hypothese zu nutzen. »Es ist interessant, dass Ihnen zu dem Vorfall das Wort ›Fügung‹ in den Sinn kommt. Wer hat Ihrer Meinung nach was gefügt? Und zu welchem Zweck?«
    Er bog von der lauten Hauptstraße ab in die Berggasse, dann in die Liechtensteinstraße und ging bei der Strudlhofstiege wieder zur Währinger hinauf.
    Frau Sudek antwortete: »Ach, kommen Sie. Sehen Sie nicht, dass sich hier ein Schicksal erfüllt?«
    »Was ist dann passiert?«, fragte er, ohne auf den Versuch seiner Klientin einzugehen, die Ereignisse zu einer Rechtfertigungslegende umzuformen.
    »Sie werden es nicht glauben: Wir haben dann gemacht, weswegen wir da waren.«
    »Sie hatten Sex?«
    »Nach zwei Jahren zum ersten Mal wieder.«
    »Das wäre eigentlich ein Grund zur Freude, oder?«
    »Wenn nicht was wäre?«
    »Wenn nicht irgendetwas in Ihrer Stimme mir verraten würde, dass es ein Aber gibt.«
    »Es gibt ein Aber. Wir haben uns furchtbar gestritten. Dann waren wir miteinander im Bett. Und nachher haben wir uns wieder gestritten.«
    »Worüber?«
    »Worüber? Sie sind witzig.« Wie um zu unterstreichen, wie witzig sie ihn fand, lachte sie spitz auf. Es klang überaus affektiert. »Darüber, dass er mich betrügen wollte.
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