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Gewäsch und Gewimmel - Roman

Gewäsch und Gewimmel - Roman

Titel: Gewäsch und Gewimmel - Roman
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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fröhlich gesagt: »Es ist mein Schicksal, einen Buckel zu kriegen. Man kann nichts dagegen machen. Also gut, dann: Bückelchen, ich werde dich tragen und ertragen!«
    Das, so Katja, sei doch ein anderes Format als das jener Weiber,denen ständig die Botschaft ins harte Gesicht geschrieben stehe: Ich habe noch das Anrecht, mich auszutoben! Oder diese andere Sorte, von denen ihr neulich eine im Warenhaus bei der Anprobe eines BHs sehr zwiespältig lachend ruckzuck in den Büstenhalter gegriffen habe, eine ältere Verkäuferin, die meinte, sie müsse ihr, Katja, zeigen, wie man solche Dinger trägt und die Brüste in den Körbchen wirkungsvoll plaziert. Auch gebe es ja diese Alten, die nach allzu sparsamem Leben immerwährend die fatale Parole auf den Lippen hätten: In den paar Jahren bis zum Tod wird gepraßt, was das Zeug hält!
    Tief enttäuscht äußerte sich Katja nun aber darüber, daß ihre Mutter, eine allein lebende Witwe, ihr den letzten Sonntag telefonisch etwa so geschildert habe: »Vom frühen Morgen an, gleich nach dem Aufwachen, habe ich auf eine Meldung aus der Außenwelt gewartet. Einmal ging das Telefon. Ich schaffte es nicht rechtzeitig bis dorthin. Den ganzen Resttag bereute ich meine Langsamkeit und überlegte: Wer könnte es gewesen sein? Bei wem kann ich riskieren, ihn anzurufen und nachzufragen, einfach, um eine menschliche Stimme zu hören? Immer ging es in meinem Kopf: Wer mochte das gewesen sein? Am Abend läutete wieder das Telefon. Diesmal war ich schnell. Und was stellte sich heraus, Katja? Simple Nummernverwechslung! Es meldete sich ein unbekannter Mann, und zwar der, den ich am Morgen verpaßt hatte. Selbst das war also nichts, ich meine, nichts für mich. Und doch war es ein Glück. Immerhin hatte ich durch den Irrtum über den langen, langen Sonntag hinweg eine Aufregung und was zum Zergrübeln, Kind.«
    »Hätte sie sich nicht aber«, meinte die Studentin ärgerlich, »über das Versehen amüsieren müssen, statt so sehr mit der Stimme zu zittern? Was jammert sie plötzlich? Spürt sie denn nicht, wie auch die stumme Luft voll geheimer Botschaften ist, auch voll sexueller Absprachen, und das nicht nur auf elektronischem Weg?«
    Man muß ihr ein bißchen zugute halten, daß für Katja eine Liedzeile wie diese: »… bis an das kühle Grab« noch nichts weiter als die Vorstellung eines Erfrischungsgetränks an einem heißen Sommertag weckt. Auch steht ihrer Jugend die Überraschung, daß das ehern Unerbittliche des Todes ausgerechnet dasjenige irreal macht, was sie bis jetzt unbezweifelt für die Wirklichkeit hält, erst bevor.
Wien
    »Im Mai«, erinnert sich Clemens Dillburg, der ein demütiger Mensch und Priester ist, »bin ich von Potsdam aus, wo es überall, besonders aber um die russische Kirche herum nach Akazien duftete, über Prag, das unter einer Wolke von Fliedergerüchen lag, nach Wien gefahren, um dort endlich und zum ersten Mal meinen Bruder zu besuchen, der mich durch den dort ansässigen, ich meine, hochberühmten Stephansdom führen sollte.
    Wie, fragte ich mich unterwegs neugierig, so nebenbei, würde es wohl in Wien riechen?
    Welche Überraschung: nach Moschus! Jedenfalls in der Wohnung meines Bruders, auch in den Straßen, denn ich spazierte ja immer neben ihm. Außerdem stellte sich heraus, daß ich den Dom viel besser kannte als er, obwohl ich nur in Büchern darüber gelesen hatte. Er war wohl noch niemals darin gewesen. Warum auch! Wien besitzt viele Kirchen. Allerdings lag der Fall bei ihm speziell. Er galt als Profi, als King in Wiener Zuhälterkreisen. Das entging mir bereits nach wenigen Tagen nicht. Als junger Mann, nachdem er ein frommes Kind gewesen war, ist er als Feuerschlucker aufgetreten. Damit war Schluß, als ihm einmal in einer fränkischen Stadt ein Jugendlicher fortlaufend die Fackeln mit Bierspritzern gelöscht hat. Es kam zu einer Rangelei, bei der mein Bruder schließlich dem anderen feuerspuckend das Gesicht verbrannte. »Ich selbst aber«, so der treue Priester, »frageund erforsche mich: Wieso, um Himmels willen, habe ich den Moschusgeruch, den seine Damen an ihm hinterlassen hatten, so sicher erkannt?«
    Eine Weile später sagt er sich: »Weihrauch und Moschus! Das ist wieder so ein Fall. Vielleicht kommt es in unserem irdischen Leben vor allem darauf an, ob wir in den Erscheinungen eine Vorform, einen, und sei er noch so erbärmlich, Abglanz des Göttlichen erkennen oder ob wir in dem, was wir das Göttliche nennen, nur eine Sonderform
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