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Gestatten, dass ich sitzen bleibe: Mein Leben (German Edition)

Gestatten, dass ich sitzen bleibe: Mein Leben (German Edition)

Titel: Gestatten, dass ich sitzen bleibe: Mein Leben (German Edition)
Autoren: Udo Reiter
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den Kopf ziehen und mit einem Klebeband eng um den Hals befestigen, bis mir der Sauerstoff ausgeht und ich am Kohlenstoffdioxid ersticke. Ich möchte auch nicht in die Schweiz fahren und mich dort auf einem Parkplatz oder in einem Hotelzimmer von Mitarbeitern der Sterbehilfe Exit einschläfern lassen. Ich möchte bei mir zu Hause, wo ich gelebt habe und glücklich war, einen Cocktail einnehmen, der gut schmeckt und mich dann sanft einschlafen lässt. Dieses Recht auf einen selbstbestimmten Tod ist das Gegenstück zum Recht auf ein selbstbestimmtes Leben. Ich finde es unerträglich, dass eine Allianz aus Politik, Kirche und Ärzteschaft uns dieses Recht immer noch vorenthalten will. Wir sollten uns dasnicht gefallen lassen. Wir sollten den Cocktail einfordern als letzte Leistung unserer Krankenkasse. Der Hinweis auf einen möglichen Missbrauch ist lächerlich. Alles im Leben kann man missbrauchen, auch ein Küchenmesser, und der mögliche Missbrauch einer Sache ist nie ein Argument gegen die Sache selbst. Ob es neben den ethischen Einwänden gegen die aktive Sterbehilfe auch ökonomische Interessenlagen gibt, die einer Cocktaillösung im Weg stehen, weiß ich nicht. Wenn man sieht, welche horrenden Rechnungen gerade in den letzen Monaten eines verlöschenden Lebens von Ärzten und Pharmaindustrie ausgestellt werden, könnte einem der Verdacht kommen.
    Um es klar zu sagen: Ich freue mich meines Lebens und möchte, solange es irgend geht, dabei sein. Aber wenn es nicht mehr geht, möchte ich nicht in einer Weise abtreten, die ich quälend finde und die meiner bisherigen Lebensweise unwürdig ist.

Der König ist tot, es lebe der König
    Aber so weit ist es ja noch nicht. Erst einmal kommt das Leben als Rentner. »Rente ist Scheiße«, hatte Jürgen Kellermeier, der ehemalige Hörfunk- und spätere Fernsehdirektor des Norddeutschen Rundfunks, zu mir gesagt, nachdem er die ersten Monate Ruhestand hinter sich gebracht hatte. Und weil Kellermeier ein kluger und mir überaus sympathischer Mann war, hat mich dieser Satz nachdenklich gemacht. Diese Nachdenklichkeit nahm noch zu, als sich Jürgen Kellermeier später aus dem Fenster seiner Wohnung stürzte. Sollte es wirklich so schlimm sein?
    Ein halbes Jahr nach meinem eigenen Ruhestand kann ich die Kellermeier’sche Erfahrung nicht bestätigen. Im Gegenteil. Ich finde das Rentnerleben äußerst angenehm. Man ist alle Verpflichtungen, die ja nicht nur ein Vergnügen waren, auf einen Schlag los. Das schwarze Loch, in das man angeblich stürzen würde und vor dem mich viele gewarnt hatten, ist weit und breit nicht zu sehen. Ich kann ungestraft tun, wozu ich Lust habe. Wenn ich früher nicht einschlafen konnte, machte ich mir schon mal Sorgen, wie ich unausgeschlafen die wichtigen Termine des nächsten Tages bewältigen sollte. Ich habe dann versucht, den Schlaf irgendwie zu erzwingen. Zur Not auch mit einer halben oder ganzen Schlaftablette. Heute stehe ich gegebenenfalls nachts um zwei auf, mach mir einen Wodka Lemon und lese auf dem iPad die Zeitungen von morgen. Dafür schlafe ich dann bis zehn. Oder das: Früher hatte ich ein schlechtes Gewissen, wenn ich am Wochenende länger als zwei Stunden im Garten war. Am Montag war schließlich Rundfunkrat, der »Bericht des Intendanten« und die zwölf Sprechzettel, die mir meine Mitarbeiter ins Wochenende mitgegeben hatten, mussten durchgearbeitet werden, und der Vortrag für den kommenden Mittwoch vor den Vertretern der mitteldeutschen Wirtschaft war auch noch nicht fertig. Jetzt schaue ich, solange ich Lust hab, in meinen Weiher und füttere die Enten, und das nicht nur am Wochenende.
    Gut, die Aufmerksamkeit und der Respekt, die man mir entgegengebracht hatte, waren dem Amt geschuldet, nicht der Person, das muss man wissen, damit ist es zu Recht vorbei. Ein Büro zu haben, das einen umsorgt, noch dazu ein so vorzügliches, wie ich es hatte, ist schön und angenehm. Nie einen Parkplatz suchen zu müssen und immer einen Tisch zu bekommen ist auch nicht schlecht. Aber existentiell ist das alles nicht, die Lebensqualität hängt davon nicht ab.
    Alles in allem sieht es an dieser Front also gut aus. Aber es gibt eine andere, an die ich nicht gedacht hatte und überdie zu sprechen mir fast ein wenig peinlich ist. Ich hätte mich für lockerer und souveräner gehalten. Es geht um die Art, wie meine Nachfolger mit meinem Lebenswerk umgehen. Mit unserem Lebenswerk, müsste ich richtiger sagen, denn ich weiß, dass es einigen ebenfalls
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